Surreales Notprogramm im Provisorium

■ Die Berlinische Galerie im Lapidarium: Nach dem Auszug aus dem Martin-Gropius-Bau und einer ungewissen Zukunft wird Kunst nun zwischen monumentalen alten Steinriesen erdrückt

Kaiser Wilhelm I. zur Linken, Kaiserin Augusta Viktoria zur Rechten, ein Nachtbild von Karl Horst Hödicke in der Mitte: Im Lapidarium, einem der skurrilsten Orte Berlins, zeigt die Berlinische Galerie ein surreales Notprogramm. Mit vier Bildern und einer Skulptur ehrt das Museum den Maler Hödicke anläßlich der Verleihung des Thieler-Preises. Ein winziges Leporello kündigt sechs weitere Ausstellungen über Malerei, Architektur, Installationen und Fotografie bis Januar 1999 im Lapidarium an: Damit will die Berlinische Galerie, die derzeit über keinen eigenen Standort mehr verfügt, seit sie aus dem Martin-Gropius-Bau ausgezogen ist, wenigstens ein „Schaufenster“ zu ihrer Arbeit offenhalten.

Doch das Schaufenster zur Kunst eröffnet kaum mehr als einen Blick in die Rumpelkammer der Geschichte, in der die Kunst erdrückt wird. Gebaut wurde das Haus 1876 als Abwasserpumpwerk von James Hobrecht, dem die Stadt die erste Kanalisation verdankte. Als die Anlage hundert Jahre später als technisches Baudenkmal restauriert wurde, ließ der Senat dort die Denkmäler der berüchtigten Siegesallee aufbewahren. Eng zusammengerückt bezeugen die steinernen Ritter und Könige martialischen Geschmack und wilhelminische Geschichtsklitterung.

Seit zehn Jahren untersteht das Lapidarium der Berlinischen Galerie. Tatsächlich lockt die Mischung von technischem Denkmal und historistischer Schreckenskammer an Tagen der offenen Tür bis zu 300 Besucher an. Aber die wenigen Besucher, die jetzt wegen Hödickes Malerei hierherkommen, sind konsterniert. Die Wucht der monumentalen Steinfiguren staucht die nächtlichen Stadtlandschaften Hödickes zusammen und nimmt der Malerei den Raum, sich zu entfalten.

Dieses traurige Provisorium sei ein Spiegel der derzeitigen Situation, verteidigt Jörn Merkert, Direktor der Berlinischen Galerie, das Miniprogramm. Das sei sichtbarer Ausdruck der Not als Museum ohne eigenes Haus. Mittel für andere Räume habe man nicht; das Lapidarium stand zur Verfügung, um neben den Ausstellungen im SPD-Haus oder in der Akademie der Künste an einem Ort ständig präsent zu sein. Aber es ist fraglich, ob zu der ehemaligen Pumpstation nicht nur die treuesten Fans des Museums pilgern.

Übrigens: Nicht mit ansehen konnte wohl Hödicke die Not der Berlinischen Galerie. Er hat die 30.000 Mark, die er mit der Verleihung des Thieler-Preises erhalten hat, gleich dem Museum gespendet. Katrin Bettina Müller

Lapidarium, Hallesches Ufer 78, Mi.–Mo. 10–20 Uhr.