Sumsum- und Simsimgasse

■ Israelische Puppen besuchen die palästinensische "Sesamstraße" und andersrum - so soll die Serie Kinder beider Seiten zusammenbringen

Sie haben ihre eigene Welt und ihre eigenen Erfahrungen. Und die könnten verschiedener kaum sein. Fast nie spielen israelische und palästinensische Kinder zusammen. Einen Austausch, eine Kommunikation zwischen ihnen gibt es kaum. Seit Anfang des Monats aber läuft im israelischen wie palästinensischen Fernsehen eine Serie, die den Anspruch erhebt, dies zu ändern, zumindest auf dem Bildschirm: die „Sesamstraße“.

Auf hebräisch heißt sie „Rehov Sumsum“, auf Arabisch „Shar-ia Simsim“. Beide „Sesamstraßen“ leben erst einmal in ihrer eigenen Welt. Darin unterscheiden sie sich nicht von anderen Versionen der Sendung, die seit 30 Jahren weltweit Millionen von Kindern in ihren Bann gezogen hat. Natürlich sind die menschlichen Charaktere und die Puppen verändert, der jeweiligen Gesellschaft angepaßt. In „Rehov Sumsum“ spielt ein zwei Meter großer Igel eine wichtige Rolle. Der stets schlechtgelaunte und meckernde Oskar heißt in der hebräischen Version „Moishe Oofnik“. Und eine violette Kreatur mit einem Ringelschwanz gibt die Ansichten eines sechsjährigen Mädchens wieder.

In „Shar-ia Simsim“ taucht Karim, der Hahn, auf, der besonders stolz darauf ist, verabredete Zeiten einzuhalten, eine Tugend, die dem arabischen Charakter für gewöhnlich eher nicht zugeschrieben wird. Und da ist die wilde Hanin, ein aufregendes, drei Jahre altes Mädchen, das alles und jeden durcheinanderbringt.

Ansonsten ist alles so, wie es sein sollte. Menschliche Charaktere und bunte Puppen agieren mit- und gegeneinander. Und transportieren die Botschaft von Toleranz und Verständnis. Auf israelischer Seite geht es um die Annäherung zwischen säkularen und religiösen Israelis, zwischen Einwanderern und Eingeborenen – in der palästinensischen Produktion geht es um ein bißchen Nationalstolz und ein bißchen mehr Verständnis füreinander.

Die Einzigartigkeit dieser israelisch-palästinensischen Koproduktion liegt in den Passagen, in denen israelische Charaktere ihr palästinensisches Gegenüber besuchen und umgekehrt. „Diese Szenen zeigen die verschiedenen Kulturen“, sagt Dolly Wolbrum, Produzentin der israelischen Version. „Die Idee besteht darin, den anderen zu zeigen, zu identifizieren und zu akzeptieren.“ Die Kinder spielten alle dasselbe Spiel, sagt sie. Aber aufgrund ihrer unterschiedlichen Sprachen würden sie das anfänglich nicht erkennen. Erst beim Singen und Spielen gehe ihnen die Ähnlichkeit ihres Verhaltens auf.

Einfach war die dreijährige gemeinsame Arbeit gewiß nicht. Da die Palästinenser über kein eigenes Studio verfügten, drehten sie in Israel. „Aber viele Mitglieder des Teams erhielten keine Genehmigung, nach Israel zu reisen“, sagt Daoud Kuttab, palästinensischer Journalist und Produzent der arabischen Serie. „Als wir anfingen, wußten wir, daß es Probleme geben würde“, so Kuttab, „aber wir waren entschlossen, es zu Ende zu bringen.“ Der Mord an Ministerpräsident Rabin, mehrere palästinensische Selbstmordanschläge und die Abriegelung der besetzten Gebiete führten zu Produktionsunterbrechungen und harten Diskussionen zwischen beiden Teams.

„Die Schwierigkeiten waren in der Tat enorm“, sagt Dr. Lewis Bernstein, verantwortlicher US- Produzent beider Serien. „Es gab zwei Teams, was ohnehin schon schwierig ist. Es gab einen Unterschied in der Erfahrung mit TV- Serien von fast 30 Jahren. Und es gab den Kontext der Konflikte im Nahen Osten.“ Unter diesen Umständen sei der Vorlauf von drei Jahren nicht so lang.

Die US-Produktionsgesellschaft gab nicht nur technische Hilfe, sondern beriet auch Drehbuchautoren und Puppenspieler, um das Produkt zu verbessern. „Selbst in den dunkelsten Momenten suchten wir einander zu verstehen“, sagt Daoud Kuttab. Nur dieses Verständnis habe das Projekt am Leben erhalten.

Israelische wie palästinensische Produzenten sind am Ende mit ihrem Produkt zufrieden. „Ich glaube, die Serie gibt Palästinensern wie Israelis die Möglichkeit, sich in einem anderen Licht zu sehen“, sagt Daoud Kuttab. „In dieser Hinsicht ist es ein sehr gelungenes Projekt“, so Kuttab. Auch Bernstein empfindet die Produktion als absolut wertvoll. „Diese Sendung öffnet ein neues Fenster“, so Bernstein. „Es ist ein kleines Fenster, aber wir sollten es öffnen“, sagt er. Seit dem 1. April ist es geöffnet, für Israelis wie Palästinenser. Und für die Hoffnung, die nächste Generation werde die Chance erkennen, die sich darin verbirgt. Georg Baltissen