Hoher US-Besuch für Afghanistans Taliban

UNO-Botschafter Bill Richardson soll heute in Kabul auf der Beachtung von Menschen- und Frauenrechten bestehen  ■ Von Thomas Ruttig

Berlin (taz) – Wenn heute Bill Richardson zu Gesprächen in Kabul eintrifft, ist das der höchstrangige Besuch eines US-Diplomaten seit über 20 Jahren in Afghanistan. Abgesehen von zwei inoffiziellen Visiten der Vizeaußenministerin Robin Raphel, die 1996 bei den Taliban Lobbyarbeit für eine Erdölpipeline der United Oil of California (Unocal) betrieb, war 1975 der damalige Außenminister Henry Kissinger der letzte. Damals hatte Afghanistan noch einen König.

Richardson, Botschafter seines Landes bei den Vereinten Nationen, will während seines eintägigen Besuchs die Nummer zwei der ultraislamistischen Taliban, Mullah Muhammad Rabbani, treffen sowie im nördlichen Fünftel des Landes die Chefs der Anti-Taliban-Allianz: den usbekischen Warlord Abdurraschid Dostum, den „Verteidigungsminister“ Ahmad Schah Masud und Schiitenführer Karim Chalili. Letzterer ließ in der Stadt Masar-e Scharif jüngst eine spontane Friedensdemonstration zusammenschießen.

Taliban-Chef Mullah Muhammad Omar bekommt auch Richardson nicht zu sehen. Bei seiner Weiterreise kann der US-Diplomat allerdings mit dessen Hintermännern sprechen. Auf seinem Reiseplan steht Pakistan, wichtigster Unterstützer der Taliban.

Regierungskreise in Washington, die nicht namentlich genannt werden wollen, sagten vor Richardsons Abreise, der Diplomat werde den Taliban mitteilen, daß die USA ihr Regime so lange nicht anerkennen würden, wie sich die Lage der Menschen- und insbesondere der Frauenrechte in Afghanistan nicht verbessere. Ferner wolle er Garantien für Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen in Afghanistan erreichen. Im März hatte die UNO alle ihre Mitarbeiter aus dem Taliban-Hauptquartier Kandahar abgezogen, nachdem ein örtlicher Kommandant der Ultraislamisten wiederholt gegen sie tätlich geworden war. Aber auch die Unocal-Pipeline wird Richardson nicht ganz aus dem Blick lassen. Mit den Taliban wolle er auch darüber sowie über Auslandsinvestitionen und eine Erhöhung der internationalen Hilfe reden – allerdings erst für die Zeit, wenn der Krieg vorbei sei. Im März hatte Unocal-Vizepräsident Marty Miller frustriert erklärt, seine Firma habe das Pipelineprojekt auf Eis gelegt. Begründung: „Solange Afghanistan keine Form einer Regierung hat, in die Investoren Vertrauen haben, haben wir kein Projekt.“

Schon Richardsons Funktion bei der UNO deutet auf die veränderte Haltung der USA zu Afghanistan. Zur Zeit der Raphel-Visite glaubten einige hohe Washingtoner Beamte in den Taliban eine Kraft zu erkennen, die den Frieden in Afghanistan wiederherstellen könne. Auch kleinste Fortschritte würden deshalb mit Sympathie betrachtet. Die Vizeaußenministerin rückte deshalb eindeutig US-Interessen – auch privatwirtschaftlicher Art – gegenüber den Menschenrechten in den Vordergrund.

Richardson betont hingegen jetzt, der „einzige Weg“ zum Frieden sei, „einen Konsens unter den verschiedenen Fraktionen zu finden, daß es keine militärische Lösung gibt und sie an einen Tisch kommen und miteinander reden müssen“. Ausdrücklich stellte er sich hinter den Friedensplan des neuen Afghanistan-Beauftragten des UN-Generalsekretärs Kofi Annan, den früheren algerischen Außenministers Lachdar Brahimi. Brahimi beendet gerade in Teheran eine dreiwöchige Tour durch die gesamte Region, in deren Verlauf er für ein Waffenembargo gegen Afghanistan warb.

Trotzdem liegen die USA und die UNO auch in Afghanistan nicht völlig konform. Im Gegensatz zu Richardson schließt Brahimi eine Anerkennung der Taliban auch für den Fall aus, daß es ihnen gelänge, ganz Afghanistan unter Kontrolle zu bringen. In Washington wäre man wohl schon mit einer „Mäßigung“ ihres Regimes zufrieden.