Analyse
: Doppelstategie der KP

■ Vor der Premier-Wahl profilieren sich Sjuganow & Co als Opposition

Die Auseinandersetzung zwischen Rußlands Präsident Boris Jelzin und der Duma um die Wahl Sergej Kirijenkos zum Premierminister folgt einem zunehmend komplizierteren Muster. Zwei Tage vor dem Wahlgang entwickelte die kommunistische Fraktion hektische Aktivität. Es gelang ihr sogar, im Parlament eine komfortable Mehrheit zu finden, die eine Änderung im Abstimmungsreglement verabschiedete. Statt in geheimer werden die Abgeordneten morgen in offener Wahl abstimmen. Darüber hinaus wandte sich das Parlament noch einmal an das Verfassungsgericht mit der Bitte, zu prüfen, ob der Präsident befugt sei, den im ersten Durchgang abgelehnten Kandidaten erneut als einzigen Prätendenten zur Wahl zu stellen.

Der entsprechende Verfassungsartikel gibt darüber keine klare Auskunft, legt indes eine Interpretation nahe, wonach mindestens zwei verschiedene Kandidaten vorgeschlagen werden müßten. Die Kommunisten betreiben zum ersten Mal eine oppositionelle Politik, die den Namen auch verdient, indem sie alle Register ziehen, die die Verfassung der Legislative zur Verfügung stellt. Das sind nicht viele. Bei aller Betriebsamkeit stellt sich dennoch die Frage, ob die Kommunisten im Interesse ihres oppositionellen Wählerauftrags auch bereit sein werden, bis zum bitteren Ende auszuharren. Lehnen sie Jelzins Vorschlag ein drittes Mal ab, löst der Präsident das Parlament auf. Die Äußerung des kommunistischen Vorsitzenden der Duma, Gennadij Selesnjow, klang unterdessen eher kompromißbereit. Nach einem Gespräch mit Jelzin am Vortag hatte er zu verstehen gegeben: Es sei nötig, den Premier zu bestätigen, da das Schicksal des Parlaments ihm mehr am Herzen liege als das Fatum Kirijenkos.

Selbstverständlich gehört Selesnjow als Parlamentschef schon zum politischen Establishment und vertritt daher eine sanftere Gangart. Der neugewählten Duma würde er nicht mehr vorstehen. Offenkundig haben sich KP-Chef Gennadij Sjuganow und Selesnjow auf eine Doppelstrategie geeinigt. Vertritt der Generalsekretär nach außen die Interessen der unzufriedenen Wähler in der Provinz, fällt es dem Dumachef zu, die Auflösung des Parlaments noch abzuwenden. Die Opposition verfügt diesmal immerhin über ein spannendes Drehbuch. Das Happy-End ist erst im dritten Wahlgang vorgesehen. Sonst hätte die Partei die Wahl nicht offen abhalten wollen. Sjuganow weiß gut, daß der Mehrheit seines schweifwedelnden Gefolges nicht der Sinn danach steht, sich im Interesse einer konsequenten Politik aufzuopfern. Zumal die Kuriere des Zaren schon mit kleinen Vergünstigungen zu den Volksvertretern unterwegs sind. Nicht auszuschließen ist, daß sich die Handlung am Ende vom Drehbuch löst: Dann wären alle Verlierer. Klaus-Helge Donath