Kohl bleibt dabei – und Schäuble bleibt, wo er ist

■ Die Union legt ihren Streit bei, vorläufig. Der Kanzler hält am Kronprinzen fest, der ihm „zu gegebener Zeit“ folgen soll. Wirtschaft glaubt immer mehr an Rot-Grün

Bonn (taz) – Nach zwei Wochen des Dauerstreits haben die führenden Köpfe aus CDU und CSU die Notbremse gezogen. Via Generalsekretär Peter Hintze ließ Bundeskanzler Kohl gestern telefonisch aus seiner Abmagerungskur mitteilen, er habe nach wie vor vollstes Vertrauen zu Wolfgang Schäuble, er wünsche sich den Fraktionschef immer noch als seinen Nachfolger, „zur gegebenen Zeit“. Auch die CSU hißte die weiße Fahne. „Wolfgang Schäuble ist für jedes herausragende Amt in der deutschen Politik qualifiziert“, erklärte der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber an die Adresse seiner eigenen Querulanten. Im übrigen gehe die Union mit Kohl an der Spitze in den Wahlkampf, eine Personaldiskussion innerhalb der Union sei deshalb „nicht nur sinnlos, sondern auch schädlich“.

Der CDU-Generalsekretär bezeichnete gestern die Auseinandersetzungen zwischen CDU und CSU als ein durch die Presse aufgebauschtes Theater in der nachrichtenarmen Osterzeit. Dieses sei jetzt beendet. CDU und CSU wüßten um die Stärke, die in ihrer Gemeinsamkeit liegt: „Jeder in der Union weiß jetzt, was die Glocke geschlagen hat.“ Laut Hintze haben die Spitzen der beiden Parteien sich in der Frage der Energiesteuer längst geeinigt – europaweit, aufkommens- und wettbewerbsneutral soll sie sein. Auch die herausragende Rolle Wolfgang Schäubles sei nicht mehr strittig. Der Dissens habe sich „in Frieden aufgelöst“. Heiner Geißlers Forderung nach einer zeitlich definierten Ablösungsperspektive von Kohl auf Schäuble nannte Hintze dagegen eine irrelevante Einzelmeinung, die die Parteiführung nicht teile. Kohl trete an, um bis zum Jahr 2002 zu regieren.

Hintze gab sich alle Mühe, endlich wieder den politischen Gegner anzugreifen. Er kritisierte die Wahlprüfsteine des DGB, der eine unverschämte Wahlwerbung für Rot-Grün betreibe. Bezogen auf den bevorstehenden SPD-Parteitag in Leipzig am Freitag dieser Woche, warf Hintze den Sozialdemokraten Wählertäuschung vor. Trotz alledem erwarten nach einer gestern veröffentlichten Emnid-Umfrage immer mehr Spitzenkräfte aus Politik, Wirtschaft und Medien einen Regierungswechsel zugunsten von Rot-Grün. Gegenüber Anfang des Jahres stieg der Anteil derjenigen, die einen Wahlsieg von Rot-Grün erwarten, von 30 auf 49 Prozent. Jürgen Gottschlich

Tagesthema Seite 3