Ein Saal voll mit alten Lehrern

■ Mit seiner Ausstellung „Archive“wagt der Hamburger Jochen Kuhn, Maler und Professor für Filmgestaltung, einen nostalgischen Blick zurück in die Moderne

Der in Hamburg geborene Maler und mehrmalige Bundesfilmpreisträger Jochen Kuhn lehrt als Professor für Filmgestaltung an der Filmakademie in Ludwigsburg. Anläßlich seiner Hamburger Ausstellung von Gemälden sprachen wir mit dem Künstler an seinem 44. Geburtstag:

taz hamburg: Als Maler hast du früher nie ein Bild fertig gemacht, sondern immer wieder übermalt – schließlich hast du im Trickfilm die Lösung gefunden, deine Bildwelten zugleich zu verlebendigen wie auch vor der neuen Farbschicht zu retten. Jetzt zeigst du aber eine Ausstellung von Tafelbildern. Woher weißt du, wann die Bilder fertig sind?

Jochen Kuhn: In meinem Film Fisimatenten sagt der Künstler: „Ein Bild beenden heißt, es in seiner Entwicklung behindern.“Ich finde es sehr schön, nicht auf einer leeren, weißen Leinwand zu malen, sondern auf einer Art Acker. Die Acrylspuren ergeben eine Elefantenhaut, und langsam wird jedes Bild ein Archiv. Im Kino ist es die Geschichte, im Bild ist es das Geschichtete. Derjenige, der ein Bild im aktuellen Zustand kauft, war der Retter des Motivs vor weiterer Übermalung. Allerdings bin ich nun sicher, die hier gezeigten Bilder nicht mehr übermalen zu wollen. Sie sind hinreichend komplex.

Deine Bilder zeigen eine fragmentierte und vollgestellte Welt, kunstgeschichtlich irgendwo zwischen römischem Manierismus und De Chiricos Metaphysik. Welche Zeit ist in den Motiven gemeint, gab es vor diesen undurchschaubar geordneten Archivräumen und verschütteten Idolen eine vergessene Apokalypse?

Die wirklich große Katastrophe ist, daß in unserer Welt nichts mehr wegkommt. Die Archive haben sich verhundertfacht, unsere Städte sind komplette Archive geworden. Schon Goethe meinte, es sei schon alles gedacht worden, heute herrscht darüberhinaus die permanente Endzeit der Collage. Kunst ist überall, sie versinkt hierarchielos im Alltag und erntet nur noch Achtlosigkeit.

Mehrfach zitierst du in gemalten Buchstabenobjekten Aussagen über das Ende der Kunst: „Endgültig vorbei“oder „Das kann man nicht mehr machen“.

Ja, 50 Prozent der Energie geht sowieso drauf, sich überhaupt zu erlauben, klassisch zu malen. Da steht gespenstisch ein ganzer Saal voll alter Lehrer und sagt: „Das kannst du nicht machen.“Dabei ist das selbst bereits ein staubfrei aufbewahrter Satz im Museum der Moderne. Alle diesbezüglich schon einmal geäußerte Ironie Sigmar Polkes hat ihn aber nicht aus der Kunst herausgeschossen, sondern im Gegenteil sogar zum Oberschiedsrichter gemacht. Obwohl das eigentlich nicht mehr zu übertreffen ist, geht der Kunstbetrieb immer weiter. Da darf man schon eine gewisse Kritik sehen. Wir alle im Kunstbetrieb sind inzwischen Geisterbeschwörer, die vor allem sich selbst predigen.

Interview: Hajo Schiff

„Jochen Kuhn: Archive“, Agentur für zeitgenössische Kunst, Zöllnerstr. 23, Mi – Fr, 16 – 19 Uhr, bis 3. Mai