Hilferuf der Kulturwissenschaften

■ Ein Buch vereint Plädoyers von Hamburger Professoren für ihre vom Sparzwang bedrohten Fächer

Keiner will kulturlos sein. So wird das Wort „Kultur“ geradezu inflationär benutzt. Für ernsthafte Kulturforschung allerdings wird das Geld immer knapper: Eine 14prozentige Sparquote ist der Hamburger Uni verordnet. Der Ruf nach dem Sponsor ist keine Lösung: Bisher sind nur knapp zwei Prozent des Kulturhaushalts von deren Leistungen abgedeckt. Zumindest aber fand sich ein Sponsor, wenigstens den essayistischen Hilferuf des Fachbereichs Kulturgeschichte und Kulturkunde zu drucken. Das von Studenten herausgegebene, in Orientierung, Selbstdefinitionen und Perspektiven dreigegliederte Büchlein Die Standortpresse – Kulturwissenschaften in der Standortdiskussion gibt einen Überblick zum Sinn von Archäologie, Ethnologie, Kunstgeschichte und besonders Musikwissenschaft.

Es setzt für die aktuelle Diskussion leicht zugängliche inhaltliche Eckwerte, nimmt die politischen Schlagworte zum „Industriestandort Deutschland“ ernst und führt einen Dialog mit der sponsernden Wirtschaft. Gerade diejenigen Wissenschaften, die sich mit grundlegenden Machtfragen der Gesellschaft befassen, sehen sich besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten (oder dem, was die politischen Verteilungskämpfe dafür ausgeben!) in die Defensive gedrängt und als exotisch, peripher und überflüssig etikettiert. Es ist, wie Musikprofessor Vladimir Karbusicky im Vorwort sagt, eine perverse Umkehrung: „. . . denn der Sache angemessen wäre, wenn sich im Gegenteil die Politiker vor der Kultur in ständiger Defensive befänden.“ Denn die Geistes- und Sozialwissenschaften haben es mit den wirklich harten Problemstellungen der Zeit zu tun, während die angeblich harten, faktenzählenden Naturwissenschaften sich mit eher begrenzten Problemen befassen. Wie soll beispielsweise der immer eingeforderte interkulturelle Dialog jenseits von „ethnischen Säuberungen“ aussehen, wenn es keine intensive Arbeit am eigenen Kulturbegriff gibt?

Der Archäologieprofessor Hans Georg Niemeyer findet das schöne Wort von den „wissenschaftlichen Warenbegleitpapieren“ für die Ordnung der materiellen Kultur in seinem Fach. Und erweiternd dienen alle Kulturwissenschaften der begleitenden Sinnerzeugungsarbeit für diese Welt, die in der treffenden Formulierung von Walter Jens nur noch in „rascher, die Sinnfrage negierender Verwertbarkeit“ rotiert. Es geht nicht darum, dem Humboldtschen Bildungsideal nachzuweinen, aber wenigstens auf der Höhe der Gegenwart zu bleiben. Das Buch appelliert dazu, angesichts einer explosionsartigen Vermehrung des Wissens nicht für kurzfristige Zahlenspiele die universitäre Orientierung zu zerstören und den Informationstransfer zu vergrößern, statt zu beschneiden. Wird das noch jemand hören?

Hajo Schiff

S. Fetthauer, R. Grauel, J. Matthiesen (Hrsg.): Die Standortpresse – Kulturwissenschaften in der Standortdiskussion; von Bockel Verlag, Hamburg, 148 S., 19,80 Mark.