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Sonne in Frieden

■ Pack die Badehose ein, wir gehen zum Thaden-Friedhof: Über Halbnackte auf der Suche nach einer sonnigen Ruhestätte Von Silke Mertins

Da wo Emma Möller – die 1883 im zarten Alter von 17 Jahren dahingerafft wurde – eine letzte Ruhestätte fand, hat auch Sabine ein friedliches Plätzchen für Strandmatte, Sonnencreme und Wasserflasche gefunden: auf dem Friedhof Norderreihe in der Altonaer Thadenstraße. „Hier ist man so schön ungestört.“ Jetzt in den Semesterferien ist Sabine fast jeden Tag an Emma Möllers Seite. Denn: keine plärrenden Blagen, keine Halbstarken, kein Fußballspielen, sondern bis auf ein bißchen Vogelgepiepe nichts als Totenstille.

All die Erschwernisse des sommerlichen Lebens sind auf dem 1977 in einen „Parkfriedhof“ umgewandelten Terrain nämlich verboten. Die Grünanlagenverordnung sieht ausdrücklich vor, der alte Friedhof habe „der ruhigen und besinnlichen Erholung“ zu dienen.

SonnenanbeterInnen wissen den morbiden Charme der Thaden-Parkanlage mit seinen versteckten Eckchen und hohen Bäumen schon lange zu schätzen. Der Altonaer Friedhof ist einer von 11 Heimstätten der Verblichenen in Hamburg, die „entwidmet“ worden sind. „Eine Ruhezeit von mindestens 25 Jahren muß nach jeder Beerdigung eingehalten werden“, so Umweltbehördensprecherin Ina Heidemann. Erst danach ist–s mit „Ruhe Sanft“ vorbei: Bahn frei für Schweiß- und Sonnenmilch-Schwaden im Reich der Toten. „Die entwidmeten Friedhöfe werden sehr stark frequentiert“ bestätigt Ina Heidemann die Beliebtheit der Freizeit-Friedhöfe. Gleich neben Herrn Eckhoff hat sich auf einer Decke ein erholungsbedürftiger Zivi niedergelassen. „Krach kann ich nicht brauchen“, stöhnt der und rollt sich zu einem Mittagsnickerchen zusammen.

Geradezu berühmt-berüchtigt fürs Friedhof-Geschehen sind jene Gestalten, die in Zeitlupe und seltsam entrückt mit Händen und Füßen die Luft zerschneiden: die Tai-Chi-Freaks. Einer bevorzugt zum Beispiel die Nähe zum Grabstein des Matthäus Friedrichs, der Dichter des Liedes „Schleswig-Holstein meerumschlungen“.

Überhaupt hat jede Ecke ihre kleinen und großen Vorteile. Bei der versteckt gelegenen Grabstätte von Henning Dohrn (1836-95), dem Altonaer Kirchenprobst – „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat“ –, läßt sich etwa hübsch munkeln, auch hüllenlos. Daß FKK verboten sei, steht schließlich nicht in der Parkordnung.

Andere Ruhestätten eignen sich wiederum hervorragend zu sozialen Zusammenkünften – die Grabplatte als ökologisch recycelter Picknicktisch. Das Grabplatten-Ensemble um und bei den Verblichenen H.H. Eggers und Eduard Jürgensen bietet Platz für mehrere Großfamilien. Das lädt ein, sich mexikanische Verhältnisse vorzustellen: Dort stehen sich Dieseits und Jenseits ohnehin viel näher, weshalb man sich zum Totenfest mit Leckereien, Zuckerbäcker-Totenköpfen und Ramba-Zamba volksfestmäßig ins Reich der Toten begibt.

Davon können die HamburgerInnen mit morbiden Neigungen erstmal nur träumen. Sonnen auf dem Friedhof in Hamburg ist aber immerhin ein zarter Anfang.

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