Leben zwischen Mann und Frau

■ taz-Serie „Grenzgänger“, Teil 3: Die Transsexuelle Johanna Kamermans Von Thomas Plaichinger

Sie ist es gewohnt, über ihr Leben nachzudenken: Als Johanna Kamermans vor 57 Jahren in Holland geboren wurde, war sie ein Junge: Jacobus Johannes.

„35 Jahre lang habe ich nur das gemacht, was die Eltern und die Gesellschaft von mir erwartet haben“, sagt Johanna. Auch eine Pflicht-Ehe ging sie ein, 1963. „Wir waren 15 Jahre wie aneinandergeklettet. Das auseinander zu kriegen, war sehr schwer. Ich wollte beweisen, daß ich ein heterosexueller Mann war. Obwohl – so ein Wort kannte ich damals noch gar nicht: „heterosexuell“. Es ging einfach darum, daß ein Mann zu seinen Pflichten steht. Man heiratet, man versucht eine Karriere. Ich habe sehr gut verdient, aber irgendwann wußte ich, es geht so nicht weiter.“

Den Ingenieur zog der Beruf von Holland nach Basel, den Privatmenschen Johannes das Verlangen auf die andere Grenzseite, ins nahe Weil am Rhein. „Da waren damals viele Cabarets, denn in der Schweiz war das noch streng verboten. Damals waren Frauen, die Männer waren, die Sensation. Die Bude war jeden Abend voll, und ich ging auch dorthin.“

Dem Grenzgänger war bald klar, daß es das sein sollte: Die Wandlung zur Frau, um auszuleben, was er bisher nicht zugelassen hatte. „Es ist immer leicht, in die Vergangenheit Dinge hineinzuinterpretieren, aus der Retrospektive, die man so nicht erkannt und erlebt hat“, sagt Johanna. Ausdrücke wie 'im falschen Körper' habe es damals nicht gegeben. Man hatte seine Informationen und ging davon aus, daß es möglich ist, aus einem Mann eine Frau zu machen.

„Ich habe 35 Jahre lang heterosexuell gelebt, ein Kind gehabt, geheiratet. Ich hielt mich für einen heterosexuellen Mann. Irgendwann spürte ich aber ein Interesse für Männer. Nach dem heutigen Wissensstand würde man dann davon ausgehen, daß ich homosexuell wäre. Aber ich habe mit diesem Wort nichts anfangen können. Ich interessierte mich für Männer, homosexuell war ich nicht, denn ich war ja heterosexuell, also mußte ich – im Umkehrschluß – wohl selber eine Frau sein. Nur so kann ich mir im Nachhinein meine Überzeugtheit erklären. Ich habe gar nicht daran gedacht, meine Weiblichkeit auch als Mann ausleben zu können.“

Schon auf Geschäftsreisen als Ingenieur läßt Johanna sich von einer Nachtclubtänzerin in Düsseldorf Choreographien beibringen. „Das ging alles unheimlich schnell. Ich war noch Ingenieur und hatte schon erste Verträge als Stripperin. Anfangs muß ich noch ganz unbeholfen gewesen sein.“

Irgendwann ist der bürgerliche Beruf nur noch Erinnerung, das Leben als Show-Frau finanziell lohnend und auch sonst genau das, was Johanna sich wünschte. „Ich wurde sehr gut. In den ersten Jahren war ich nur abends auf der Bühne Frau. Dann kamen die körperlichen Korrekturen dazu, der Busen wurde vergrößert, das Gesicht verändert.“

Bis 1985 führte die Karriere sie von Stadt zu Stadt. „Dann habe ich das Cruising an der Gertigstraße eröffnet und wollte Homo- und Heteropublikum mischen.“ Der Laden ist erfolgreich, die Parties sind Geheimtips – bis zur Pleite nach drei Jahren. „Ein Bierverleger hat mich ausgeschlachtet,“ sagt sie über das abrupte Ende. Um wieder auf die Füße zu kommen, arbeitet sie, die als Stripperin immer als „echte Frau“ gearbeitet hat, zum ersten Mal als „Transe“: als Callgirl mit reichlich Kundschaft.

„Inzwischen spürte ich aber, daß ich mein Buch schreiben mußte. Und ich konnte Sexarbeit und Schreiben nicht unter einen Hut bringen.“ Ein Jahr lang setzt sie sich hin. „Mythos Geschlechtswandel“ entsteht, 384 Seiten, auf denen sie ihre Abrechnung mit dem transsexuellen Status festhält. „Wenn ich mein Leben anschaue, weiß ich, daß es in der heutigen Zeit sicher anders gelaufen wäre. Das hing damals mit diesem Eindeutigkeitsdenken zusammen: ein Mann ist dies, ein Mann ist das, etwas anderes kann nicht sein. Heute wäre ich wahrscheinlich ein homosexueller Mann geworden. Das ist das, was ich auch in meinen Büchern klarzumachen versuche.“

Die Umgebung, sagt Johanna, habe sie 35 Jahre lang gesteuert, die Erwartungen der Eltern, die aus einem bürgerlich-prüden Milieu kamen, in dem es das Wort „Homosexueller“ gar nicht gab. Das sei die Erkenntnis gewesen, aus der es nur eine Flucht gab: die Umwandlung.

Deshalb gab es auch den großen letzten Schritt nicht: „Du mußt dich noch anpassen lassen, wurde mir damals gesagt. Zweimal hatte ich einen Termin, in London, in Amsterdam. Und bin nicht gegangen. Wahrscheinlich, weil ich so einen sechsten Sinn hatte, daß meine Annahme, ich wäre eine Frau, doch nicht so ganz richtig war. Ich sehe das jetzt ganz nüchtern, realistisch.“

„Ich werde im Alltag als das gesehen, was ich mir wünsche: als Frau.“ Natürlich gebe es immer wieder Leute, die sagen: 'Geh doch einfach wieder in deine Rolle als Mann zurück'. Aber wie stellen die sich das vor! Ich habe jetzt 25 Jahre Sozialisation als Frau hinter mir!“ Auch in die andere Richtung sei es nicht so einfach: „Eine Operation, und hopp soll ich eine Frau sein – das ist typisch männlich, daß alles sofort funktionieren soll!“

Johanna Kamermans ist die Autorin von „Mythos Geschlechtswandel: Transsexualität und Homosexualität“, edition Hathor, Hamburg 1992 und „Künstliche Geschlechter: Nirwana oder Götterdämmerung“, edition Hathor, Hamburg 1995.

4.Teil: „Nur der Sozialkasper?“, Streetwork bei rechten Jungs, am Donnerstag, 3. August