„Bier sieht in der Sonne gut aus“

Für den „Tag des Biers“ ein paar Ratschläge: Am besten „kommt es“, schon morgens berauscht zu sein, an der Theke aufrecht stehn, mit Bier in der Hand schmeckt es bestens  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Am 23.4. ist Tag des Biers! Die neueste Ausgabe der eher abhängigen Zeitung das Bier berichtet, daß es 5.000 Sorten Bier gibt in Deutschland, daß Stehen an der Theke gesund ist, wenn man die Möglichkeit hat, sich mit einem Fuß aufzustützen, und den einen Arm stützendwirbelsäulenentlastend auf der Theke plaziert.

Außerdem hätte das Wort „Reinheitsgebot“ mittlerweile seinen Weg in den englischen Sprachschatz gefunden. Wissenschaftliche Untersuchungen, die der Dortmunder Volkskundler Dr. Thomas Mania vor Ort angestellt hatte, hätten ergeben, daß „Privates“ bei Stammtischen eher selten erörtert werde.

Außerdem können Junkies am meisten Bier trinken, weiß ein 68er Ex-Junkie, der stundenlang auch über „Alk“ reden kann. Weil Junkies meist nicht so superlebensfroh und anheimelnd aussehen wie etwa Wolfgang Petry, Kurt Masur, Dieter Bohlen und die Puhdys, tauchen sie allerdings eher selten in der Bierwerbung auf.

Am besten „kommt es“, morgens schon betrunken zu sein. Deshalb hat die Eckkneipe an der Ecke, in der übrigens exakt die gleiche Musik gespielt wird wie bei der taz-Party der „68er“ neulich und auf allen berliner Radiostationen, zwischen 10 und 12 Uhr „Happy Hour“. Das ist auf dem Schild an der Eckkneipe zwar anders formuliert, bedeutet aber das gleiche. Vormittags trinken. Nun ja: „Alle menschlichen Fehler sind Ungeduld, ein vorzeitiges Abbrechen des Methodischen, ein scheinbares Einpfählen der scheinbaren Sache“ (Kafka).

Jedenfalls kosten zur Happy Hour Bier und Schnaps nur die Hälfte und sind mithin nur um ein Geringes teurer als beim Zigarrettenhändler an der Ecke, bei dem sich die hiesigen Akoholtrinker morgens zu bedienen pflegen und bei dem es am Wochenende auch Brötchen gibt.

Danach sitzen sie dann auf Pollern in der Sonne und betrachten das Leben. Einer von ihnen ist ganz klein und sehr alt und gebrechlich und kippt oft um. Wenn man ihm dann aufhelfen will, packt er mit erstaunlicher Kraft die Hand und will sie nicht mehr loslassen und guckt einen dabei komisch an und stinkt ein bißchen.

Das Bier in der Sonne sieht sehr gut aus. Wenn die Sonne durchs Bier scheint, stimmt das einen ganz wehmütig. Daß Bier gelb ist, verleiht ihm sozusagen eine buddhistische Note. Man muß dann nur halt weitertrinken, wenn man morgens schon angefangen hat, sonst geht der Tag dann völlig daneben. Sehr schick ist es, am Nachmittag mit einer Bierdose in der Hand durch fremde Gegenden, etwa durch Vororte von Leipzig, zu schlendern. Auch die Jugendbanden haben hier alle ein Bier in der Hand. Das schmeckt dann noch einmal so superangenehm.

„Alkoholismus als absolut übergreifender gesellschaflicher Normalzustand hier. An der Kasse: links der Typ, die alte Frau vor mir, die junge Frau hinter mir. Sie kaufen Billigbier in Dosen, drei, vier, fünf bleiben im Wagen liegen, eine wird oben aufs Band gelegt. Zum Sack Kartoffeln. Schaut vielleicht besser aus. Zur Kassierin wird dann die insgesamtige Zahl Bier gesagt. Berliner Kindl Jubiläums Pilsener. Schon die gehobene Marke.

Den Namen des ganz billigen Biers habe ich jetzt wieder vergessen. Harte Suppe. Auch auf der Straße, jetzt abends, ist ja jeder zweite sichtlich dicht, nicht torkelmäßig betrunken natürlich, aber einfach so ganz normal abgedichtet“, schrieb der Schriftsteller Rainald Goetz neulich in seinen Weddinger Internettagesnotizen (rainaldgoetz.de).

Theoretisch wirkt das ständige Trinken sehr sympathisch. Den Satz „Ich trinke ständig“ würde man im Brief eines Freundes zum Beispiel zwar vielleicht besorgniserregend finden, aber vor allem eben auch sehr schön. Viel besser zum Beispiel als den Satz: „Ich arbeite den ganzen Tag über an einer Arbeit über Niklas Luhmann.“

„Die Macht des Alkohols über die Menschen beruht zweifellos auf seiner Kraft, das mystische Vermögen der menschlichen Natur zu stimulieren, das gewöhnlich durch die kalten Fakten und die trockene Kritik der nüchternen Stunde zu Boden gedrückt wird. Die Nüchternheit reduziert, diskriminiert und sagt Nein; die Trunkenheit erweitert, vereint und sagt Ja. Sie bringt ihren Jünger von der kalten Oberfläche der Dinge zu ihrem strahlenden Kern.

Für den Augenblick läßt sie ihn mit der Wahrheit eins werden. Nicht aus bloßer Perversität wird sie von den Menschen gesucht. Für die Armen und Analphabeten nimmt sie den Platz von Symphoniekonzerten und Literatur ein, und sie ist Teil des tieferen Mysteriums und der Tragödie des Lebens. Das trunkene Bewußtsein ist ein Teil des mystischen Bewußtseins, und unser Urteil darüber muß seinen Ort in unserem Urteil über dieses größere Ganze finden“, schreibt der amerikanische Transzendentialist William James in seinem Buch „Varieties of Religious Experience“. Manchmal denkt man betrunken komische Sätze wie zum Beispiel, daß Sex auch nur ein unzureichender Rauschersatz ist.

Beim Oktoberfest '93 hatte das Münchner Fremdenverkehrsamt übrigens Anweisung gegeben, daß Betrunkene nicht gefilmt oder photografiert werden dürften. Die Stadt begründete die Einschränkung der Pressefreiheit mit dem Hinweis, daß Betrunkene sich nicht wehren könnten, aber nichtsdestoweniger im Besitz der Menschenwürde seien, und die sei nun einmal unantastbar.

Haschisch, das nicht nur hier in Kreuzberg nicht viel weniger Freunde als Bier hat, ist meiner Ansicht nach übrigens das Bier unter den verbotenen Rauschmitteln.