Spitzelrente bleibt bis auf weiteres in der Toskana

■ Der Prozeß gegen Volker Weingraber, erst Tatverdächtiger im Schmücker-Mord, dann als V-Mann enttarnt, wird fortgesetzt. Berlin klagt auf Rückzahlung von 450.000 Mark Abtauchgeld

Volker Weingraber Edler von Grodek – einer der bestbezahlten Spitzel des Berliner Verfassungsschutzes der 70er Jahre – kann bis auf weiteres sein selbst gewähltes „Exil“ auf dem geheimdienstfinanzierten Weingut in der Toskana genießen. An eine etwaige Rückzahlung seines großzügigen V-Mann- Salärs muß der inzwischen über 50jährige nicht denken. Obwohl das Land Berlin auf Herausgabe von 450.000 Mark Verfassungsschutzgeldern klagt. Doch das „Schweigegeld“ ist in der Toskana derzeit unantastbar.

Die unendliche Geschichte um Volker Weingraber alias „Wien“, um den legendären Schmücker- Prozeß, um die Extremistenjagd des Verfassungsschutzes (LfV) in den Jahren nach 1968, um die Vertuschung des Skandals durch die Innenbehörde zeigt Spätfolgen. Seit fünf Jahren klagt Berlin auf Rückzahlung der gezahlten 450.000 Mark. Gezahlt für ein wiederholtes Untertauchen des erst als Täter im Schmücker-Mord verdächtigten, dann als V-Mann enttarnten „Wien“. Weil Weingraber noch immer auf dem Weingut weile, habe er das Geld nicht vereinbarungsgemäß verwendet, so die Begründung der Klage, die in Florenz ausgefochten wird. Doch wie die Finanzverwaltung bestätigt, läuft der Prozeß noch immer, „Sicherungsmaßnahmen“ für das Geld könnten außerdem „grundsätzlich erst nach Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils ergriffen werden“. Und der Prozeßausgang ist ungewiß. Die Freundin des umsichtigen Weinbauern habe bei ihrer Zeuginnenvernehmung bestätigt, daß Weingraber mit Erlaubnis des Verfassungsschutzes auf sein Weingut zurückgekehrt sei, ohne daß er zur Rückzahlung verpflichtet worden sei. Ein ehemaliger Schlapphut habe dagegen ausgesagt, Weingraber sei sehr wohl „deutlich gemacht worden, daß er das Weingut verlassen müsse“.

Am 10. Februar dieses Jahres hat das Land nun einen Antrag auf „summarische Vorentscheidung“ gestellt. Diese italienische Rechtskonstruktion ermöglicht nach Auskunft von Finanzsprecher Dirk Wildt, daß noch vor einer Hauptsachenentscheidung im Prozeß ein rechtskräftiges Urteil ergeht und das Geld gepfändet werden könnte. Mit einer Hauptsachenentscheidung rechnen die italienischen Anwälte nicht vor dem Jahr 2000. Nach Ansicht der Finanzverwaltung haben sich die Chancen des Landes verbessert. Denn nach Jahren habe nun das Gericht immerhin anerkannt, daß der Rechtsstreit vor dem florentinischen Gericht zulässig ist.

Weingraber, tief in den Skandal um den Mord an dem als LfV-Spitzel aktiven Studenten und Sympathisanten der „Bewegung 2.Juni“, Ulrich Schmücker, 1974 verstrickt, sollte mit dem Geld sein erneutes Abtauchen finanzieren. Weingraber hielt sich nicht an die Abmachung. Statt dessen blieb er, nachdem der Spiegel ihn in Italien aufgestöbert hatte, auf seinem Weingut und steckte das Geld in dessen Ausbau. Zwei Ferienwohnungen entstanden so mit dem Geld des Verfassungsschutzes in der lauschigen Toskana.

In die Toskana hatte sich Weingraber bereits Ende der 70er Jahre nach seiner „Abschaltung“ als V-Mann unter dem Namen Goldmann zurückgezogen – ausgestattet mit einer ersten Zahlung von 310.000 Mark aus den Kassen des Geheimdienstes. Im Verfahren um den Schmücker-Mord war nach 15 Jahren erst die Tatwaffe aufgetaucht. Bis 1989 hatte das LfV die Pistole versteckt gehalten. Erhalten hatte die Waffe, nur eine Stunde nach dem Mord: Volker Weingraber. Weingraber jedoch war nicht nur in den Mord verstrickt. Zugleich war er Zuträger seiner Informationen an die Sicherheitsbehörden. Noch in der Nacht vor dem tödlichen Schuß hat Weingraber nach eigener Aussage einem VS-Mitarbeiter berichtet, „daß gegen Schmücker etwas laufen könne“. Der Mord geschah also nahezu vor den Augen des Verfassungsschutzes. 1988 wurde Weingraber als Spitzel in der linksradikalen Szene enttarnt, er tauchte nach Italien ab und nahm Kontakt zur autonomen Mailänder Szene auf, um an die Roten Brigaden heranzurobben. Heute lebt er mit einer Mailänder Ex-Aktivistin und dem gemeinsamen Sohn. Am 19. Mai wird der Prozeß fortgesetzt. Ob dann eine Entscheidung fällt, konnte die Finanzverwaltung nicht sagen. Mit Blick auf die Geschichte sind schnelle Entscheidungen jedoch recht unwahrscheinlich. Barbara Junge