Kirijenko fällt wieder durch

Auch beim zweiten Anlauf stimmt das russische Parlament gegen den Wunschkandidaten von Boris Jelzin. In der nächsten Woche soll die Duma erneut abstimmen  ■ Von Klaus-Helge Donath

Moskau (taz) – Rußlands gesetzgebende Versammlung, die Staatsduma, hat auch im zweiten Wahlgang den Wunschkandidaten Präsident Jelzins für das Amt des Premierministers nicht passieren lassen. 271 Abgeordnete stimmten gegen den amtierenden Premierminister Sergej Kirijenko, der in der Wiederholungswahl mit 115 Jastimmen ein noch schlechteres Ergebnis erzielte als in der Abstimmung vor einer Woche. Damals unterstützten ihn 143 Deputierte. Um als Premier bestätigt zu werden, bräuchte er 226 Stimmen.

Vor der Abstimmung diskutierte das Parlament noch einmal, ob die Wahl offen oder geheim abgehalten werden sollte. Sergej Kirijenko hätte mit mehr Zuspruch rechnen können, wenn die Parlamentarier in geheimer Wahl nur ihrem Gewissen und persönlichem Interesse gefolgt wären. Die Kommunisten als stärkste Fraktion setzten sich durch und zwangen ihre Gefolgschaft zur Parteidisziplin. Über fünfzig Volksvertreter nahmen an der Abstimmungsprozedur gar nicht erst teil.

Präsident Jelzin ließ sich vom Mißerfolg seines Auserkorenen nicht beeindrucken und schlug ihn bereits für einen dritten Wahlgang vor, der am kommenden Freitag stattfinden wird. Fällt Kirijenko abermals durch, verlangt die Verfassung vom Staatsoberhaupt, die Duma aufzulösen und vorgezogene Neuwahlen auszuschreiben. Jetzt kommt es darauf an, wer die stärkeren Nerven hat.

Weder der Kremlchef noch die kommunistische Opposition können siegesgewiß in die nächste Parlamentswahl ziehen. Die Kommunisten befürchten, an ihren Rändern ein erhebliches Wählerpotential an radikalere linke Gruppierungen zu verlieren. Der Chauvinist und Politclown Wladimir Schirinowski zieht womöglich mit seiner Partei LDPR nicht wieder ins Parlament ein. Das wäre besonders bedauerlich für den Kremlchef, denn Schirinowskis Parteigänger haben sich in der Vergangenheit als verläßlichste Stütze des Kremls in der Duma erwiesen.

Die Opposition, einschließlich der liberalen Reformpartei Jabloko, forderte den Präsidenten mehrfach auf, einen Alternativkandidaten zu benennen. Außerdem wollte sie vom designierten Premier vor der Abstimmung wissen, welche Minister er ins neue Kabinett zu holen gedenke. Kirijenko gab sich bisher bedeckt, wird in diesem Punkt allerdings nachgeben müssen, will er im dritten Anlauf doch noch bestätigt werden.

Präsident Jelzin demonstriert unterdessen Gelassenheit. Gestern reiste er zu einem Staatsbesuch nach Japan. Für die Dauer der Reise ist Rußland führungslos. Die Verfassung klärt nicht, ob ein designierter Premier die Amtsgeschäfte des Präsidenten übernehmen darf. In seiner wöchentlichen Radioansprache wischte Jelzin Bedenken beiseite: Regierungskrisen müssen auch entwickelte Demokratien des öfteren bewältigen. Rußland sei ausreichend Gefestigt, um sich selbst zu verwalten.