Mit König Schröder ist alles ein Taumel, ein einziges Versprechen. Gestern krönte die SPD mit 93 Prozent der Delegiertenstimmen ihren Kanzlerkandidaten. Die Regie wollte kein Risiko eingehen: Je kürzer die Show, je starrer der Ablauf, desto

Mit König Schröder ist alles ein Taumel, ein einziges Versprechen. Gestern krönte die SPD mit 93 Prozent der Delegiertenstimmen ihren Kanzlerkandidaten. Die Regie wollte kein Risiko eingehen: Je kürzer die Show, je starrer der Ablauf, desto weniger Platz für kritische Worte.

In Leipzig werden Helden gemacht

„10.15 Uhr, Wechsel auf Lichtstimmung IV (Eindunkeln zum Film), Einspielung des Films (1.28 Minuten) mit Musik.“ Wie nüchtern kündigt die Regieanweisung dieses Tages den ersten Höhepunkt der Veranstaltung an. Aber was heißt Veranstaltung? Hier in Leipzig, der „Heldenstadt“, der Geburtsstadt der SPD, wird heute mit Gerhard Schröder ein Mann auf den Schild gehoben, mit dem alles ein Taumel ist, ein einziges Versprechen. Die Welt schaut einer Krönungsmesse zu. Parteitag der SPD in Leipzig, hätte so etwas früher geheißen.

Stimmungsvoll dimmt also das Licht herunter, auf einer Leinwand öffnet sich eine Rose in Zeitlupe, schaut sich ein Pärchen verliebt an, steigen Seifenblasen auf. Und nach all diesem Blühen, Wachsen, Strahlen schreitet plötzlich ein Mann in schwarzem Anzug würdevoll über die Leinwand. Schröder! Da bricht ein Jubel aus den Kehlen der Zuschauer hervor, sie springen auf, applaudieren, und dann kommt planmäßig „Lichtstimmung V“.

Weniger von Inhalten ist zu berichten, seit er, würdig, Gerhard der Starke geheißen zu werden, auf den Schild des Kandidaten gehoben ist. Sollen sich die Gegner mit Positionen zerfleischen, wie es CDU und CSU mit der Verteuerung von Energie tun. Dem Hause Schröder ist seit Wochen kein Ton mehr zu diesem Thema zu entlocken, mit dem das vormalige Haus Lafontaine eigentlich eine ökologische Wende einleiten wollte. Aber für die Wähler sind Befürworter höherer Energiesteuern der Beelzebub, und so ist allemal wichtiger die Regieanweisung für 10.20 Uhr: „Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder gehen vor das Renderpult und winken bis zum Ende der Musik.“

Um 10.25 Uhr betritt der „Kanzlerkandidat“ der SPD das Rednerpult, („die Rede ist dort abgelegt worden“), der eigentlich erst um 11.45 als Kanzlerkandidat gewählt sein soll. Und wenn es nach einigen in der SPD gegangen wäre, hätte dieser Programmpunkt auch gereicht. Rudolf „auf der Lauer“ etwa, der immer noch auf spätere Königswürde hoffende Fraktionsvorsitzende, hätte am liebsten auf die Programmdiskussion verzichtet, für die ohnehin nur eine Stunde Zeit ist. Die Stimme des Volkes sagt dazu: „Die sollen mal bloß nicht so großkotzert sein.“ Aber der oberste Zeremonienmeister Franz Müntefering will kein Risiko eingehen.

Je kürzer die Feierlichkeiten, je starrer der Ablauf, desto weniger Fehler können passieren. Inhalte? „Mir ist noch niemand begegnet“, sagt Müntefering, „der gesagt hat, ich habe euer Programm gelesen, ich find's ganz toll, ich wähle euch.“ Sollen sich die anderen hauen. „Wir machen das mit der neuen Mitte.“

Fast wären dennoch einige Patzer passiert. Schmidt der I., einst König von Deutschland, wurde eingeladen und dann, wie es hieß, wieder ausgeladen. Die Krönungsstrategen befürchteten, so wurde jedenfalls verbreitet, daß der alte, knurrige Recke zuviel Aufmerksamkeit von König Schröder abziehen würde. Aber nun steht doch für 11.45 Uhr im Ablaufplan: „Helmut Schmidt betritt das Rednerpult und sagt einige Sätze.“ Einige Sätze, bloß nicht mehr! Er redet trotzdem eine Viertelstunde, lobt Lafontaine, der die Partei diszipliniert hat, und das große Ansehen Schröders in der Öffentlichkeit. Aber er warnt auch vor der schwierigen Aufgabe, dämpft die Euphorie mit der Feststellung, zu einem Aufschwung in Deutschland brauche es mehr als vier Jahre.

Zur Auflockerung blenden die Regisseure auf der Leinwand zwischendurch das rote Logo „Wir sind bereit“ ein. Einige Vasallen messen diesem Auftritt eine große Bedeutung zu. Mit Lafontaine als Königskandidat wäre Schmidt nicht aufgetreten, sagen sie. Schmidts Anwesenheit symbolisiere einen Rechtsruck der Partei und damit eine Abkehr vom linken Kurs, auf den Lafontaine „der Verhinderte“ seine Partei zwischenzeitlich gebracht hat. Bloß Kaffeesatzleserei, weil sonst nichts von Gewicht zu berichten ist?

Als willkommener Lapsus in allzu perfekt erscheinender Choreographie erschien zunächst auch die Ankündigung einer Pressekonferenz des Jungvolkes der SPD, die bekanntermaßen lieber einen König Lafontaine gesehen hätten. Dann aber ließ die Anführerin der roten Horde, Prinzessin Nahles, verkünden, es habe sich um eine irrtümliche Ankündigung gehalten. Ihre nachvollziehbare Begründung: „Was hätte ich denn sagen sollen? Es gibt nichts zu sagen.“

Jedes kritische Wort wäre nicht nur Königs-, sondern fast schon Gotteslästerung. Oder zweifelt etwa jemand an dem Wahrheitsgehalt der Karikatur in der Leipziger Volkszeitung, in der Schröder mit Heiligenschein über das Wasser geht? Kaum ein Gespräch auf Gängen und in Hinterzimmern, in denen nicht der messiasähnliche Schröder beschworen wird. Es wird nach Palmwedeln gefragt, und ein Vorschlag hätte es gar verdient, den Schlußpunkt der Krönungsfeierlichkeiten zu setzen: Schröder auf einen Thron setzen und sagen lassen: „Lasset die Lahmen und Siechen zu mir bringen.“ Markus Franz, Leipzig