Überfrachtet in die Leere

■ Jens Neuberts Brecht-Liedermarathon „Tahiti“im TiK

Es brechtelt allerorten. Besonders am Thalia Theater, das mit Hans im Glück und Baal zu Bertolt Brechts 100. Geburtstag schon zwei seiner Jugendstücke auf die Bühne gebracht hat. Jetzt zeigt das TiK mit der Revue Tahiti einen bis in die späten Ostberliner Jahre reichenden Querschnitt aus allerlei Chansons und Texten des Dichters.

Passend zum Hansemarathon fügt sich das fleißig gesammelte „Lied- und Triebgut“(musikalische Leitung und Regie: Jens Neubert) zu einem reichlich gehetzten Brechtmarathon zusammen. 88 Etappenziele aus Chansons, Gedichten, Briefen und Notizen müssen im eineinhalbstündigen Parcours von sieben Teilnehmern absolviert werden. Bloß nicht Pause machen – wertvolle Zeit könnte verlorengehen. So spannt sich der Bogen über Brechts gesamtes Schaffen – seine Augsburger Jugendjahre, Berlin, die Flucht nach Dänemark und Finnland, das Exil in Hollywood und die Ostberliner Zeit. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist jedes Gefühl für Schönheit, Kraft oder Originalität der einzelnen Texte und Lieder.

Aus lauter Sorge, eine Hommage an Brecht zu inszenieren, erstickt Jens Neubert jede Faszination im Überangebot. Schon zum Startschuß darf Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“nicht für sich alleine stehen, sondern wird von einem Stummfilm untermalt. Auch die Chansons unterbrechen eingestreute Texte. Mal sprechen drei Schauspieler gleichzeitig, mal intonieren sie Gedichte so gegen den Rhythmus, daß sie der Lächerlichkeit preisgegeben werden.

Reißt ihm den Heiligenschein herunter! Im Brecht-Jahr 1998 scheint dieses Motto zum Pflichtprogramm geworden zu sein.

Besonders Werke aus der Exil-Zeit Brechts und aus den späten Ostberliner Jahren werden fast zwanghaft persifliert. In Clownsmaske dirigiert Brecht als eitler Künstler, mit gezackter Freiheitsstatuen-Krone auf dem Kopf biedert er sich in Hollywood an. Sein „Friedenslied“wird als pathetischer Kitsch entlarvt, wenn Dietmar König, in schwarzer Lederjacke Brecht-like stilisiert, auf den Flügel steigt und in Siegespose eine Gitarre hochhält.

Zu selten entwickeln Szenen eine kritische Kraft, die wirklich erhellend ist – etwa wenn der unproduktive Arbeitseifer im sozialistischen Deutschland als kollektiver Schwachsinn karikiert wird. Da reichen sich die Akteure zusammengefaltete Mäntel, bis der letzte in der Runde sie dem ersten wieder weitergibt. Doch leider zersört die Revue nicht nur den Mythos des fleißigen Arbeiter- und Bauernstaates, sondern walzt unterschiedslos jeden Zauber utopischer Ideen platt. Und das Flair von Tahiti bleibt im TiK eine hohle Kokosnuß. Karin Liebe