Naturnahe Seifenwerbung

■ Trinidad Martinez' risikolose Choreographien bei den „Jungen Hunden“

Beabsichtigt war es keinesfalls, aber dennoch ließ sich bei der Premiere von Trinidad Martinez' Pedestrian Movement eine schräge Parallele zu den „Jungen Hunden“um Matthias von Hartz ziehen. Was in seinem autobiographischen, selbstironischen Rückblick auf die achtziger Jahre unter dem Titel Autoreverse 1.0 am selben Abend in der Halle k4 erinnert wurde, stand bei Martinez auf der Bühne: Die Künstlerin im großen Sweatshirt mit „University of ...“-Aufdruck, darunter ein Spaghettiträgertop, dessen Spaghettiträger gerne über die Schultern rutschen, und daneben ein Querflötenspieler. Querflöten waren nebst Tee und Flokatis, die ebenfalls verbalen Einzug in Autoreverse gefunden hatten, wesentliche Selbstfindungsfetische der frühen Achtziger. Daß der Flötist mit Hall die Goldberg-Variationen variierte, war nur konsequent. Daß die junge Tänzerin sich zur getragenen Musik, die die Bühne wie eine Frühlingslandschaft im Blick durch ein Kirchenfenster erscheinen ließ, bewegte wie eine harmlose Schlingpflanze mit Drehwurm, war schade. Martinez gab sich in ihrem 15minütigen Solo Mühe, den gesamten Raum tänzerisch abzuschreiten, doch blieb dieses Pedestrian Movement in seiner zirkulären Weichheit risikolos und unaufregend wie naturnahe Seifenwerbung.

Formal und inhaltlich spannender war das zweite Stück des Abends, Naked, Nude or Devoid, mit der die Spanierin ihre erste Gruppenchoreographie vorstellte. Mit fünf Tänzerinnen hat Martinez, die in Madrid klassischen Tanz studierte, in Cannes bei Rossella High-tower Modern Dance und nun seit einem Jahr in Hamburg arbeitet, über Improvisationen versucht, sich dem Thema Prostitution tänzerisch zu nähern. Inspirationsquelle der Arbeit ist ein Lied des Kubaners Silvio Rodriguez, das in der gelungenen Klangcollage von Dayton Allemann immer wieder zitiert wird: Als „blasse Blumen der Nacht“besingt er die Huren, „Blumen, die Selbstmord pfeifen“.

Nicht den Akt der Prostitution, sondern das Wechselspiel zwischen öffentlicher Präsentation und intimer Rückgezogenheit in den eigenen Körper stellt Martinez in den Vordergrund. Frauen mit nackten Beinen und Pelz um den Hals lassen die Hüften kreisen und sind im nächsten Augenblick auf der Flucht. Die Gemeinschaft der Huren gibt Halt und stößt in Konkurrenzsituationen aus – spielerische, selbstbewußte Momente der Selbstdarstellung werden von Bildern gebrochener Körper abgelöst.

Im Wechsel von Soli und Ensemblechoreographien entsteht eine gewisse Dynamik, doch bleibt auch Naked, Nude or Devoid trotz des Themas frei von Brüchen, Drastik und Risikobereitschaft. Der Zuschauer wünscht inniglich, Martinez würde bei ihren „Fußgänger Movements“durch St. Georg und anderwo zumindest einmal bei Rot über die Straße gehen.

Christiane Kühl

noch morgen und Mittwoch, 20.30 Uhr, Kampnagel k1