Ein „Theatre of Dreams“

■ Werder schlägt den FC dreiundhalb zu null und wirft dabei für einen Dichter literarische Probleme auf von taz-Gastautor Ian Watson

Mein Freund Horst, HSV-Fan, versteht es nicht. „Werder-Köln. So wie die spielen, dürften eigentlich nur 9.997 Zuschauer da sein.“Heute sind es 35.000; und da ist der berühmte übergesprungene Funke, von dem der Bruno schwärmt.

Ganz so einfach ist es heutzutage für den Lyriker im Stadion nicht, denn wenig reimt sich. Ich habe schon Gedichte für Didi Beiersdorfer und Kiwi Rufer geschrieben; aber Frey und Wiedener sind eine unverdauliche Muse. Auch der in der Schweiz weltberühmte Raphael Wicky, begnadeter Fußballer der er ist, küsst bei mir keine Lyrik wach. Und die Kölner? Toni Polster, fußballerisch vielleicht der beste Mann auf dem Platz, wird von Jens Todt in Einzelhaft genommen und zum Saurier. Munteanu – fleißige prosaische Langeweile. Azizi ist unwesentlich besser – vielleicht dribbelnder Knittelvers.

Hier im „Theatre of Dreams“steht sowieso das dramatische eher im Vordergrund, und den tragischen Helden spielt zu oft der Christian Brand. Mal als Hamlet inszeniert – die Unentschlossenheit in Person – darf er heute gegen Köln in der Rolle Heinrich des Fünften auftreten. Die ersten 20 Minuten, und das zentrale Mittelfeld gehören ihm; er waltet, schaltet, kreist und glänzt. Dann aber ist es in der 55. Minute soweit. Sidka, wie ein sturer Vater am Rande des abendlichen Spielplatzes, holt ihn zum Schlafen nach Hause. Mit Brand gehen nicht nur die ganze Dynamik und die ästhetischen Elemente aus der Partie; schlimmer noch, ihm und uns wird wieder mal vor Augen geführt, daß Christians Rolle eher die des Ersatzes bleibt, wenn der Star heiser ist. Und das Ganze wird noch nicht mal bestraft. Frey schießt das entscheidende Tor, und wieder hat ein Trainer „eine glückliche Hand“gezeigt.

Havard Flos Rolle auf den Brettern ist eine viel ältere. Er ist der menschliche Widerspruch; der Jedermann im Mysterienspiel. Manchmal kann er so wie gegen Köln in der Anfangsphase spielen – er legt mal Labbadia, mal Kunz den Ball feinfühligst genau vor, mit der Pike, mit der Hacke. Nach der Pause spielt er sogar ganz lässig den Netzer-Part an der Mittellinie, verteilt statisch die Bälle. Dann spielt er wieder wie Du und ich: Verstolpert sich, läuft ständig ins Abseits, steht vor dem völlig freien aber sich rasch verkleinernden Tor und spitzelt das Ding daneben. Kann er wirklich ein Fußballgott werden, oder bleibt er bloß gebeutelt von den Fußballgöttern, die ihm auch noch den Holger Gaißmayer als Mahnbeispiel auftischen?

Aber es scheint wirklich aufwärts zu gehen. Ramzy präsentiert sich endlich wieder als Spieler von internationalem Format. Eilts und Trares hauen ihren jeweiligen Degen. Kunz, Frings und Wicky gewinnen an Erfahrung und Geschicklichkeit. Dynamo Maximow wird zum Herzog-Partner aufgebaut. Schon jetzt wächst die Vorfreude auf die nächste Saison.

Damit dem Publikum des „Theatre of Dreams“der Spaß an der Kunstform Fußball erhalten bleibt, damit das Nicht-Vorhersehbare, das im heutigen stromlinienförmigen Fußball mehr denn je für Erfolg sorgt, nicht ganz verschwindet, muß um Christian Brand gekämpft werden. Wenn er nur als Platzhalter in den Kulissen warten darf, wird er schnell woanders sein. So wie Manchester United Ryan Giggs trotz seiner Fehlpässe, seiner Launen und seiner Anfälligkeit zum europäischen Star geformt hat, braucht der Sidka mit Brand einen längeren Atem und der Christian eine längere Leine. Er braucht Freiheiten auf der linken Seite (wenn schon im zentralen Bereich neben Herzog und Maximow für ihn kein Platz ist) und einen hinter ihm, der ihm die Fehler ausbügelt. Nur er wäre der würdige Kandidat für mein nächstes Fußballgedicht. Er wäre ein Sonett wert, aber nur wenn er zu den ersten elf Zeilen gehört und nicht zu den dreien auf der Bank. Nichts reimt sich auf „achtundzwanzig“, aber viel auf „zehn“.

Der irische Schriftsteller Ian Watson ist seit 1972 Dauerkarteninhaber beim SV Werder und Dozent für englische Sprache und Literatur an der Universität Bremen.