NS-Zwangsarbeiterinnen fordern Lohn

■ Landgericht verhandelt Klage von drei jüdischen Frauen / Bremer Bausenator hatte sie und weitere 800 KZ-Häftlinge zum Trümmerräumen angefordert

Sie mußten Trümmer von Bremens Straßen schaufeln, Ziegel abklopfen und in der zerbombten Stadt behelfsmäßige Wohnungen bauen. Wie Sklavinnen vegetierten sie mit 800 weiteren jüdischen Frauen zunächst in den Pferdeställen der Hindenburgkaserne, später im KZ-Außenlager Stuhr-Obernheide. Für ihre Leiden haben sie bislang keinen Pfennig gesehen. Am Dienstag wird die Zivilkammer des Bremer Landgerichts über die Entschädigungsforderungen von drei ehemaligen jüdischen Zwangsarbeiterinnen verhandeln.

Sie waren drei der mindestens 30.000 ZwangsarbeiterInnen, die die bremische Rüstungsproduktion am Laufen hielten und Trümmer wegschafften. Ihr offizieller Sklavenhalter war der Bremer Bausenator. Unterlagen belegen, daß die Behörde im August 1944 800 weibliche Häftlinge beim SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt angefordert hatte. Die 500 Jüdinnen aus Ungarn und 300 aus Polen wurden in Auschwitz zum Arbeitseinsatz aussortiert. Die übrigen starben in der Gaskammer.

Bis zum 4. April 1945 schufteten die Frauen in Bremen, bewacht und gequält von SS-Wächtern. Die Landeshauptkasse Bremen überwies vier Mark pro Frau und Tag an das KZ Neuengamme, zu dem die Außenstelle Stuhr gehörte. Die Arbeiterinnen wurden bremischen Firmen zugeteilt, die ihrerseits den Senat bezahlten. Vor den herannahenden Briten wurden die Überlebenden ins KZ Bergen-Belsen transportiert. Dort starben viele kurz vor der Befreiung.

Seit Jahren verlangen überlebende Frauen, unterstützt vom Auschwitz-Kommitee und seinem Bremer Vertreter Klaus von Münchhausen, den entgangenen Lohn für ihre Qualen. Die Entschädigungsforderung richtet sich nicht gegen Bremen, sondern gegen die Bundesrepublik Deutschland. Denn das Deutsche Reich, dessen Rechtsnachfolger die Bundesrepublik ist, hat als Vermittler der ZwangsarbeiterInnen die Leihgebühren von Firmen und Kommunen eingestrichen.

Wichtiger sind aber prozeßtaktische Gründe. „Wir wollten so schnell wie möglich vor das Bundesverfassungsgericht“, sagt Münchhausen. Um den betagten Opfern den Weg durch die Instanzen zu ersparen, richtet sich die schon im Dezember 1990 eingereichte Klage nicht gegen die Stadt Bremen, sondern gegen die Bundesregierung. Im September 1992 entschieden schließlich die Bremer Richter, Karlsruhe anzurufen. Eine verfassungsrechtliche Klärung war notwendig. Denn Bonn hatte stets argumentiert, einer individuellen Entschädigung stünden völkerrechtlich bindende Verträge entgegen. So war im Londoner Schuldenabkommen von 1953 die Zahlung von Entschädigungen gestundet worden, um den Wiederaufbau nicht zu gefährden. Vor jeder individuellen Entschädigung stehe der Zwang zu zwischenstaatlichen Regelungen, die aber noch nicht mit allen Staaten des ehemaligen Ostblocks geschlossen worden sind.

Im vergangenen Jahr hat nun das Verfassungsgericht entschieden: Es gibt keine verfassungsrechtliche Regel, die der individuellen Entschädigung von ZwangsarbeiterInnen entgegensteht. Ähnlich hatten die Richter bereits in einem anderen Fall geurteilt: Daraufhin hat im November 1997 das Landgericht Bonn einer ehemaligen Zwangsarbeiterin der Firma „Weichsel Metallunion KG“15.000 Mark Entschädigung zugesprochen. Zugleich wurden aber 21 weitere Klagen abgewiesen. Deshalb gingen KlägerInnen und Bundesregierung in die Berufung. Der Fall soll im August vor dem Oberlandesgericht Köln verhandelt werden.

Die Bremer KlägerInnen, die heute in Deutschland, Rumänien und Israel leben, verlangen von der Bundesregierung keine symbolische Summe, sondern den realen Gegenwert des ihnen entgangenen Lohns. Der Bremer Wirtschaftsprofessor Otto Steiger hat in einem Gutachten die Lohnforderung präzisert. Darin wird der Stundenlohn für die ungelernten Tätigkeiten der Frauen auf 13 Mark in heutigem Geld taxiert. Bei Zwölf-Stunden-Tagen und Sieben-Tage-Wochen kommen die Vertreter der KlägerInnen auf eine Summe von 4.000 Mark für jeden der zehn Monate Zwangsarbeit in Bremen.

Die Rechtsanwälte der Frauen erwarten nach der mündlichen Verhandlung am Dienstag noch im Mai das Urteil. Münchhausen rechnet aber damit, daß die Gegenseite in die Berufung gehen wird, falls sie zum Zahlen verurteilt werden sollte. Denn wie der Bonner Fall hätte auch der Bremer Fall Pilotcharakter und könnte weitere überlebende ehemalige ZwansgarbeiterInnen ermutigen, Entschädigungen vom deutschen Staat zu verlangen. Darum spiele die Bundesregierung weiter auf Zeit. Joachim Fahrun