„Selten wie eine männliche Hebamme“

Auf den ersten Blick haben qualifizierte Frauen in der Multimedia-Branche gute Karrierechancen. Trotzdem tobt der Geschlechterkampf: Computerfirmen mit Chefinnen sind immer noch die große Ausnahme  ■ Von Julia Naumann

Für Tamara D. (Name geändert) lief alles optimal: Als Redakteurin bei einer Online-Zeitschrift für Medizin hatte sie einen gutbezahlten Job. Auch als sie schwanger wurde, war das nicht das Ende. Denn ihre Firma stellte ihr im Zeitalter der Computervernetzung ihren Arbeitsplatz einfach nach Hause. Tamara D. bringt also Familie und Erwerbsarbeit unter einen Hut. Für sie ist die Verheißung der Multimedia-Gesellschaft wahr geworden: Gleiche Chancen durch mehr Flexibilität.

Doch Tamara D. ist eine Ausnahme. Denn die Arbeitswelt für Frauen am Computer ist immer noch schwierig: Zwar haben sie als hochqualifizierte Spezialistinnen relativ guten Zugang in den Job und steigen auch auf. Doch vor den Führungsetagen scheitern die meisten Frauen: In keiner anderen Industrie gibt es sowenig Chefinnen wie bei Computerdienstleistungen. Und wenn es um Familie geht, greifen auch vor dem Bildschirm ähnliche Muster der Benachteiligung von Frauen wie in der traditionellen Arbeitswelt.

Der Einstieg in den Job ist für Frauen relativ leicht: So weiß die Gründerin des Frauen-Computer- Zentrums in der Kreuzberger Cuvrystraße, Renate Wielpütz, daß „gut qualifizierte Frauen gute bis sehr gute Chancen“ haben. Susanne Schmidt, freiberufliche Programmiererin, sagt, daß Frauen die Jobs regelrecht „hinterhergetragen“ würden. Und Gil Bentley, Public-Relations-Frau bei der Virtual-Reality-Firma „Echtzeit“, verkündet, daß ihre Firma „gerne“ Frauen einstellen würde, aber keine qualifizierten finde.

Der Markt boomt: Eine Analyse der Weiterbildungskurse am Kreuzberger Frauen-Computer- Zentrum zeigt, daß dort seit 1993 jedes Jahr ein Weiterbildungskurs in Multimedia- und Internet-Technologie angeboten wird – vor allem für arbeitslose Sozial- und Geisteswissenschaftlerinnen. Die Teilnehmerinnen lernen in dem neunmonatigen Kurs mit dreimonatigem Praktikum unter anderem die Erstellung von Webseiten und Grundlagen der Datenbankprogrammierung. So erstellten die Teilnehmerinnen, die im Schnitt um die 35 Jahre alt sind, beispielsweise PR-Materialien für Brandenburger ABM-Projekte oder produzierten für verschiedene Firmen interaktive CD-ROMs. „80 Prozent unserer Absolventinnen verbleiben nach dem Kurs dauerhaft auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Leiterin Renate Wielpütz. 70 Prozent davon würden sozialversicherungspflichtig angestellt – dennoch eine relativ hohe Zahl, weil ansonsten diese Quote bei 50 Prozent liegt.

Die Frauen sind aus verschiedenen Gründen auf dem Arbeitsmarkt relativ erfolgreich: Da über zwei Drittel der Menschen in dieser Branche eine akademische Ausbildung haben, hätten gut qualifizierte Frauen eben gute Chancen, so die etwas diffuse Aussage. Die Frauen müßten vor allem inhaltliche Fähigkeiten mitbringen, denn „nur“ die Technik zu beherrschen sei zuwenig an Qualifikation. Und ganz wichtig sei, daß Kommunikationsberufe eben ein hohes Maß an Verständigung erforderten. 80 Prozent der innovativen Ideen in diesen Unternehmen, so Eva Emenlauer-Blömers von der Wirtschaftsverwaltung, entstünden in persönlichen Gesprächen. Dafür sei ein „kommunikativer und kooperativer“ Führungsstil Voraussetzung. Und den beherrschten Frauen eben besonders gut. „Die Chance, in leitende Positionen zu kommen, ist sehr hoch“, behauptet Emenlauer-Blömers.

Doch dieses sehr positive Selbstbild von Frauen in der Multimedia-Industrie trügt. Das behauptet auf jeden Fall der Branchendienst multiMEDIA, der die Führungsetagen von 1.500 deutschsprachigen Multimedia- Dienstleistern untersucht hat. Das Resümee ist niederschmetternd: In kaum einer anderen Branche gebe es sowenig Frauen in Führungspositionen – nämlich nur 7 Prozent. Als Gründe führt multiMEDIA die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung an: Historisch sei ein Großteil der heutigen Multimedia-Unternehmen aus altertümlichen „Programmierbuden“ hervorgegangen, wo „tiefgehende“ Programmierkenntnisse noch unersetzlich waren. Die Erkenntnis des Branchenkenners: „Computerbastelei ist aber nicht weiblich, was dazu führte, daß überproportional mehr Männer Unternehmen gegründet haben und Geschäftsführer sind.“

Wenn multiMEDIA Computerkenntnisse schlicht als „nicht weiblich“ tituliert, drückt die Netzwerkerin Susanne Schmidt die Situation differenzierter aus – meint jedoch ähnliches: Die 29jährige, die seit fünf Jahren mit Computern arbeitet, sagt, daß es „auf keinen Fall die Männer seien, die den Frauen Steine in den Weg legen“. Hindernis wäre vielmehr das Verhältnis der Frauen zur Technik. Männer würden sich viel eher sozial isolieren, doch welches Mädchen schließe sich schon in frühen Jahren ins Zimmer ein, um am Computer zu tüfteln? „Du stößt an die Grenzen der Sozialisation und nicht an die Grenzen der Intelligenz, wenn du erfolgreich sein willst“, hat sie festgestellt.

Für Schmidt ist die Diskriminierung von Frauen in der Multimedia-Industrie nicht größer als in anderen Bereichen. Es gelte die Spielregel wie überall auch: „Du mußt besser sein als Männer“, um andauernden Erfolg zu haben. Begünstigt werde die Karriere durch den „Neugierbonus“. „Du bist eben eine Art männliche Hebamme.“ Gute Chancen hätten Frauen auch, weil der Computer- Arbeitsmarkt sehr offen sei. Bisher gebe es sehr wenige Ausbildungsberufe wie zum Beispiel Informations- und TelekommunikationselektronikerIn und lediglich den Studiengang Informatik. Wie man Websites bastelt oder Computer vernetzt, lernt man dort aber nicht. „Die Unternehmen wollen unterschiedliche Lebensläufe und keine geradlinigen Karriereplanungen“, hat Schmidt erfahren.

Doch geht es um Schwangerschaft und Kindererziehung, ist Schmidt skeptisch: „Entweder du montierst dir den Kinderwagen an den Monitor, oder du vergißt es“, sagt sie. Eine echte Ausnahme ist da Gil Bentley. Sie ist Public-Relations-Frau in der Firma „Echtzeit“, die unter anderem begehbare Welten für die Telekommunikation und dynamische Simulationen produziert. Die 38jährige ist Mutter zweier elfjähriger Zwillinge und arbeitet nur vier Tage in der Woche, ihr Ehemann kümmert sich vor allem um die Kinder. Sie habe „wahnsinniges Glück“ mit „Echtzeit“, denn „die meisten Firmen fordern extreme Flexibilität und haben kein Verständis für Frauen mit Kindern“. Bei „Echtzeit“ ist das anders, vielleicht auch, weil ihr Chef, Claudia Alsdorf, eine Chefin ist – und „Echtzeit“ die einzige Multimedia-Firma in Berlin, die von einer Frau geleitet wird.

Diese würde gerne mehr Frauen, beispielsweise als Programmiererin, einstellen, findet aber keine – in der Firma arbeiten von elf MitarbeiterInnen nur drei Frauen. Alsdorf attestiert ihren männlichen Geschäftspartnern einen „ziemlich katastrophalen Umgang mit Frauen“. Insbesondere auf der Managerebene würden Frauen nicht ernst genommen. „Manchmal muß ich dafür rabiat werden“, hat Alsdorf erfahren. Auch Susanne Schmidt erfährt insbesondere in öffentlichen Räumen der Multimedia-Branche, daß die Männer sie spüren lassen, daß sie eine Frau ist. Ihre Gegenwehr: „Ich benehme mich und lebe jetzt immer öfter wie ein Mann.“