Analyse
: Gold oder Kurilen?

■ In den Beziehungen zu Tokio sind die Inseln Moskaus wichtigster Trumpf

Wir haben die Rohstoffe und den Raum, sie haben die Konsumgüter. Da ist unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit doch einfach zum Erfolg verurteilt! So etwa lautet die heute in Moskau populäre Sicht der russisch-japanischen Wirtschaftsbeziehungen. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich die klare Formel leider als Illusion. Japanische Investoren verhalten sich Rußland gegenüber durchaus zurückhaltend. Da wirkt noch das Aggressorenimage der UdSSR nach. Und was die russischen Arbeitskräfte betrifft, so hält man sie ja weltweit für launischer als asiatische.

Trotzdem hätte Japan gute Gründe, sich eine Zukunft mit Rußland offenzuhalten. Es bezieht heute 80 Prozent seiner Brennstoffe aus politisch explosiven Regionen wie dem Nahen Osten. Eine größere Lieferantenvielfalt scheint geraten. Sinnvoll erschiene auch eine russisch-japanische Zusammenarbeit in den Grenzgebieten. Schon beteiligen sich die Japaner an der Erschließung des Erdölshelfs von Sachalin. Allerdings strebt Tokio mit seinen Nachbarn in solchen Fällen eine industrielle Arbeitsteilung an. In diesem Sinne haben die Russen in der besagten Region nichts zu bieten.

Moskaus wichtigster Einsatz gegenüber Japan ist politischer Natur: Was gebt ihr uns für die Kurilen? Nach jenen erdbebengeschüttelten Inseln schielte mit einem Auge auch Japans Premier Hashimoto, als er Rußland Ende letzten Jahres den Weg in die Organisation für Asiatisch-Pazifische Zusammenarbeit (APEC) ebnete. Das zweite Auge Hashimotos blickte dabei unverkennbar in Richtung exsowjetisches Mittelasien. In Aserbaidschan, Turkmenistan und Kasachstan hat sein Land im letzten Jahr dramatisch investiert. Natürlich möchte auch das Reich der aufgehenden Sonne das Erdölshelf im Kaspischen Meer annuckeln. Was läge näher, als das flüssige Gold über Land gen Osten zu pumpen?

Als Schutz gegen diese Perspektive haben russische Finanzmänner einen weiteren Trumpf ausgegraben. Zu Beginn des ersten Weltkrieges wurden gewaltige russische Goldressourcen in japanischen Banken deponiert. Mit einem Zinssatz von zwei Prozent wird der Wert dieses Schatzes heute auf sechs Milliarden US-Dollar geschätzt. Eine solche Summe könnte Japan nicht einfach herausrücken. Aber auf Umwegen? Was wäre, wenn die japanischen Banken, die jahrzehntelang mit dem russischen Gold gewirtschaftet haben, rußlandgebundene Investitionen in entsprechender Höhe versicherten? Mitglieder der russischen Delegation beim gegenwärtigen Staatsbesuch halten das Thema für verfrüht: Rußland habe seine Ansprüche noch nicht exakt berechnet. Zur Delegation gehört aber auch Präsident Jelzin. Der ist bekannt dafür, daß er spontan nicht nur minutiös vorbereitete Tagesordnungspunkte berührt. Barbara Kerneck