Literaturhimmel sowieso nicht

■ Der Hamburger Autor Gunter Gerlach und sein neuer Horrorheimatroman „Herzensach“

„In den Literaturhimmel komme ich sowieso nicht“, sagt Gunter Gerlach und lächelt fein. Die Stimme ist heiser, der Tonfall verschmitzt. Der Autor von Allergiker-Krimis – unter anderem von Kortison, der mit dem deutschen Krimipreis ausgezeichnet wurde – und Organisator von Performances, Ausstellungen und Theaterstücken lacht gern. Auch über seine eigenen Geschichten, „wahrscheinlich sogar mehr als alle anderen“. Gemeinsam mit Lou A. Probsthayn und weiteren Hamburger Autoren gründete er 1986 die Gruppe PENG, die mit spektakulären Aktionen wie z.B. einer Lesung in einer Peep-Show auf sich aufmerksam machte. Natürlich war Gerlach auch im vergangenen Sommer bei Betrunkene Autoren lesen vor im St. Pauli-Clubheim mit von der Partie. Jetzt aber präsentiert sich sein jüngster Roman Herzensach im unschuldigen Mäntelchen eines Heimatromans. „Ich habe das Genre vergewaltigt – für mein typisches, gescheitertes Personal“, grinst Gerlach.

Herzensach heißt das Dorf, in das es den Studenten Jakob Finn per Autounfall verschlägt. Verführt von der Idee eines einfachen Lebens auf dem Land und fasziniert vom Naturmädchen Katharina beschließt er, zu bleiben. Doch die Idylle entpuppt sich als Hort bedrohlicher Obsessionen: Der Bürgermeister schnitzt in seiner Freizeit Geschlechtsteile, der Arzt näht mehr als Wunden, der Wurstfabrikant hat eine Folterkammer, und der Pastor baut eine Gottesmaschine.

Also eher ein Horror- als ein Heimatroman? „Man zerreißt den Vorhang, und dahinter erscheint sofort das nächste Klischee“, sagt der Autor. Und lacht schon wieder. Oder noch immer? Jedenfalls überrascht es, wenn Gerlach immer wieder vom „unbedarften Leser“spricht, der das Buch als reinen Unterhaltungsroman mißverstehen könnte.

„Jeder Bewohner hat eine eigene Welt als Schutz vor der Realität entwickelt“, sagt Protagonist Jakob Finn in einem fiktiven Interview, das Gerlach für seinen Verlag mit ihm geführt hat. Das hehre Anliegen des Autors, die Scheinwelten und Lebenslügen zu enttarnen, sie an einer – wenn auch perversen – Realität zerbrechen zu lassen, wird im Ganzen kaum deutlich. Das skurrile Treiben im Dorf ist von Anfang an so überzeichnet, daß es kaum noch auf die Spitze getrieben werden kann und sogar der Zusammenbruch wie eine erneute turbulente Wendung erscheint.

Gerlachs Methode, „das Genre so lange zu umarmen, bis es erstickt“, geht nicht auf: Der Autor scheint selbst in den Klischees zu toben. Aber auf eine bösartige Weise unterhaltsam ist der Roman allemal. Zumal der zynische Unterton den Figuren herrlich verschrobenen Charme verleiht. Kein Wunder, daß Wiglaf Droste Gerlachs Bücher „richtig schön prima“findet.

In nächster Zeit wird sich Gunter Gerlach wieder seinen „Objektbezeichnungen“widmen – im Stile seines an wechselnden Orten aufgestellten Schildes, das die „Obergrenze der Realität“markiert und schon Spaziergänger rings um Hamburg überraschte. Außerdem bringt der 1941 geborene Allround-Künstler im Herbst zusammen mit zwei Münchner Avantgardisten eine CD mit experimenteller Musik heraus. „Bis hin zum unerträglichen Krach“, wie Gerlach zufrieden erklärt. Und natürlich hat er auch schon sein nächstes Buch in Arbeit, in dem er sich endgültig von dem Spiel mit den Genres lösen will. Nur eins ist sicher: Der neue Held – und danach auch alle anderen – soll wieder den Namen Jakob Finn tragen. „So heißt man in der großen Literatur.“

Sabine Claus

Gunter Gerlach: „Herzensach“, Haffmans Verlag, Zürich 1998, 432 Seiten, geb., 44 Mark