Die Kraft des Neuen

■ Sechs Themenabende lang blickt arte von heute an in die Zukunft - und alles wird gut

Aufzuhalten waren sie nie, die technischen Neuerungen. Hatte man eine Technik erst mal im Labor oder im Freigehege entdeckt, griff sie binnen kurzem nachhaltig in die menschliche Lebenswelt ein. Das schien lange Zeit ein Naturgesetz zu sein, und so galt Faszination durch den Fortschritt als modern und die Technologiekritik eher als antiquiert. Eine Position dazwischen war seit je unpopulär.

In der Themenabend-Reihe „XX1 – Zukunft ist jetzt“ versucht nun arte sich mit technischen Innovationen zu beschäftigen, die wohl im nächsten Jahrhundert erst richtig zum Einsatz kommen: Gentechnik und Computerwesen. Schwerpunkt des ersten Themenabends von heute abend ist der ewige Feind des Lebens, das Altern. Die Leute werden zwar von Natur aus immer älter, doch jetzt wollen Wissenschaftler sogar die bislang angenommene Grenze der menschlichen Lebensdauer von 120 Jahren aufheben.

In der Dokumentation „Lebenslinien“ von Peter Friedmann und Jean-François Brunet erklären Forscher, wie sie jene Gene isoliert haben, die für den Alterungsprozeß zuständig sind, wie das Datenmaterial selektiert wird und wie am Ende Würmer, die bisher nach 30 Tagen starben, nach zwei Monaten immer noch schwerfällig durch die Versuchsanlage ziehen. Wackelt der Wurm auch nach der Verjüngungstherapie erst einmal richtig, wird am menschlichen Erbsatz herumgefrickelt.

Wenn die Wissenschaftler vom Fluch des Alterns und von der Hoffnung auf verlängerte Jugend reden, funkeln ihre Augen, und im Hintergrund tickt jeweils mehr oder weniger unauffällig ein Wecker – alles eine Frage der Zeit, oha.

Das 1996 mit dem Europa-Preis ausgezeichnete Stück ist eine Dokumentation, mit der nichts dokumentiert wird: Alles ist inszeniert und wirkt anstrengend künstlich. Die Nahaufnahmen der Altersringe betagter Bäume wirken genauso unnatürlich wie die Schnittbilder mit grinsenden Greisen. Die konstruierte Realität soll beeindrucken, aber die nach Bedeutung lechzende Bildmetaphorik macht nur müde. Über die konkrete Gefahr der Genmanipulationen schweigt sich der Beitrag aus.

Die Anlage der Abende ist generell affirmativ-euphorisch. Über die Möglichkeiten digitaler Datenverarbeitung kann demgemäß nicht berichtet werden, ohne vom „Digital Spirit“ zu schwärmen. Im 30minütigen Film „Net.Com- Kommunikation im Netz“ von Heike Blümner und Rolf S. Wolkenstein, der (am 28.4.) den zweiten Abend der Reihe eröffnet, möchte ein Internet-Freak seine „Seele um die Welt schicken“. Der Hype um den Hypertext und um die Space Community ist technisch erstklassig präsentiert, so daß man das Geschwafel von der „Netzkultur“ zuweilen gar ernst nimmt.

Als hätte es eine Kritik der Medienindustrie und ihrer Sprache nie gegeben, wird das „neue Denken“ im „neuen Medium“ beworben, wird der Film über die „Kommunikation im Netz“ zum Reklamefilm für das Netz. „Da die Geräte uns das Sprechen abnehmen, verwandeln sie uns in Unmündige und Hörige“, schrieb Günther Anders in seinem Buch „Die Antiquiertheit des Menschen“ übers Radio und Fernsehen. Die Menschen verlören, so Anders, in der zum medialen Phantom verkümmerten Welt allmählich den Bezug zur Realität und damit jegliche Motivation, der Sprachlosigkeit und Hörigkeit zu entfliehen.

Die Personen immerhin, die in „Net.Com“ auftreten, der Interface-Designer Mike Kuniavsky zum Beispiel, stören den Werbecharakter immerhin. Kuniavsky hat vor lauter Liebe zum Computer seine ganze Wohnung mit Rechnern vollgestellt. Überall sind Videokameras installiert, die das Pizzabacken und Klobürsten digital aufzeichnen. Nein, so will man nicht werden. Ist auch nicht nötig, selbst wenn bald das Beamen erfunden wird. Carsten Otte

Themen in der arte-Reihe: 1. „Mensch, willst du ewig leben“, heute, 21.50 Uhr; 2. „Digital Spirit“, 28.4., 21.45 Uhr; 3. „Millennium Blues – Geschichten vom Ende des Jahrhunderts“, 5.5., 21.45 Uhr; 4. „2B or not 3D – Die unerträgliche Virtualität des Seins, 12.5., 21.40 Uhr; 5. „Biologische Abenteuer“, 19.5., 21.40 Uhr; Die Welt der Atome, 26.5., 21.40 Uhr