Ausbrecher zu Unrecht als Doppelmörder gejagt

■ Ein flüchtiger Gefangener war bis gestern „dringend verdächtig“. Entlastung mit Hilfe der taz

Berlin (taz) – Bernd Lothar Potrick war verzweifelt. „Der Doppelmörder“ hatte die Boulevardpresse am Wochenende getitelt und darunter ein Foto des 43jährigen mit seinem Namen gesetzt.

Der so arg Beschuldigte hat zwar ein Alibi, aber der Polizei konnte er seine Unschuld trotzdem nicht beweisen. Denn auch frei vom Mordverdacht würde jeder Beamte in Deutschland ihn auf der Stelle festnehmen, denn Potrick ist ein entflohener Häftling. Daß er mit dem Doppelmord nichts zu tun hat, bewies der Gesuchte mit Hilfe der taz. Vorgestern am späten Abend brachte ein junger Mann ein Kuvert in die Redaktion. Mit einer mechanischen Schreibmaschine sauber getippt, hat Potrick aufgelistet, warum er unschuldig ist, und er erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ermittler. Nachdem die taz und andere Medien noch vorgestern das entlastende Material der Staatsanwaltschaft in Halle zugänglich machten, gibt diese dem Gesuchten überraschend recht: Bernd Potrick ist kein Mörder, der öffentlich geäußerte Verdacht der Polizei war falsch. Die polizeilichen Ermittlungen gingen fast eine Woche in die völlig falsche Richtung.

In Naumburg in Sachsen-Anhalt verbüßte Bernd Potrick eine Haftstraft. Bei einer „Ausführung“ in ein Restaurant am 13. April floh er. Schon einmal war Potrick der Polizei auf spektakuläre Weise entkommen. 1981 sprang er bei einem Polizeiverhör in Berlin-Schöneberg aus dem Fenster und konnte humpelnd das Weite suchen.

Wenige Tage nach seiner Flucht aus Halle sah Potrick dann die Schlagzeilen, die ihn zum Mörder stempelten. Am 17. März war in Sennewitz, nahe Halle an der Saale, ein Doppelmord geschehen. Ein 46jähriger Mann wurde in seinem Wohnhaus erschossen. Die 71 Jahre alte Mutter des Opfers wurde erwürgt. Der Täter fesselte die Ehefrau des Ermordeten und seine 16jährigen Tochter, hielt sie über Nacht gefangen und mißbrauchte sie sexuell. „Dabei hat der Mann den Opfern erzählt, sein Name sei ,Bernd‘ und er sei ein geflohener Gefangener“, berichtete gestern ein Angestellter der Staatsanwaltschaft Halle der taz. Die Polizei sei daraufhin die Liste der flüchtigen Gefangenen durchgegangen und stieß auf Bernd Potrick. „Auch die Beschreibung des Aussehens und die Schätzung des Alters durch die mißbrauchten Frauen hat gepaßt“, sagt der Mitarbeiter der Hallenser Staatsanwaltschaft, der nur anonym zitiert werden möchte.

Noch am Samstag hatte Staatsanwalt Hendrik Weber erklärt, Bernd Potrick sei „dringend des Doppelmordes verdächtig“. Potrick nennt das „Lügengeschichten“ und fordert in ungelenker Sprache Konsequenzen. „Ich hoffe sehr, daß die Justiz für ihr Tun zur oberflächlichen Ermittlung zur Rechenschaft gezogen wird.“ Potrick hat gestern Strafanzeige gegen den zuständigen Ermittler Rost von der Polizeidirektion Halle gestellt. Dabei ist der entlaufene Häftling aber nach wie vor selbst auf der Flucht. In seinem Material für die taz klagt er in teilweise wirren Sätzen an: „Meine drei Kinder sind durch Rosts unverantwortliches Handeln mit gebrandmarkt und ihre Ausgrenzung ist vorprogrammiert.“ Er fragt: „Wer hat mich hier schnell zum Doppelmörder und Sexualverbrecher gemacht?“

Die Staatsanwaltschaft hat bereits einen neuen Verdächtigen für den Sennefelder Doppelmord ausgemacht: Ebenfalls ein Ausbrecher, ebenfalls mit dem Vornamen Bernd. Bernd Büch floh vergangene Woche aus der Rheinischen Landesklinik in Düren. Die Staatsanwaltschaft will seine Fingerabdrücke am Tatort gefunden haben. Robin Alexander