Die RAF macht Schluß

Die Rote Armee Fraktion (RAF) gibt nach 28 Jahren ihre Selbstauflösung bekannt. Selbstkritik wegen der Lufthansa-Entführung im Herbst 1977 und der Aktionen in den 90ern, aber keine Entschuldigung für die Morde

Berlin (taz) – Seit Jahren wird sie erwartet, nun ist sie da: die Selbstauflösung der Roten Armee Fraktion (RAF). Ein Kapitel der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte geht damit endgültig zu Ende. Es gipfelte im Herbst 1977 in der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und seiner Begleiter und dem Tod dreier RAF-Gefangener in Stuttgart- Stammheim. In einem achtseitigen Schreiben, das gestern der Nachrichtenagentur Reuters zuging, heißt es: „Vor fast 28 Jahren, am 14. Mai 1970, entstand in einer Befreiungsaktion die RAF. Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte.“

Das Schreiben ist unterzeichnet mit „Rote Armee Fraktion“ und dem obligatorischen fünfzackigen Stern, den eine Heckler-&-Koch- Maschinenpistole ziert. Die Sicherheitsbehörden erklärten gestern, die Authentizität des Briefes müsse noch geprüft werden. Sie gingen aber von einer Echtheit des Papieres aus.

„Wir“, heißt es in dem Schreiben mit der Datumszeile „März 1998“ weiter, „das sind alle, die bis zuletzt in der RAF organisiert gewesen sind. Wir tragen diesen Schritt gemeinsam.“ Allerdings ist bis heute noch unbekannt, wer diese „wir“ sein könnten. Seit Jahren tappen die Fahnder im dunkeln, sie wissen nicht, wer der Kommadoebene der RAF zuzurechnen ist.

Generalbundesanwalt Kay Nehm nannte das Papier „nicht überraschend“. Schon in früheren Erklärungen habe sich gezeigt, daß die RAF von terroristischen Gewaltakten Abstand nehmen wolle. Auf die Tätigkeit seiner Behörde habe das Schreiben aber zunächst keine Auswirkungen. Noch seien mehrere Morde nicht aufgeklärt, so daß die Ermittlungstätigkeit fortgesetzt werde. Bundesjustizminister Schmidt-Jortzig (FDP) erklärte, der Brief solle nicht überbewertet werden. Wie man von verschiedenen inhaftierten und freigelassenen Mitgliedern wisse, habe die Organisation ohnehin kaum mehr Rückhalt gehabt.

Die RAF, heißt es weiter in dem Brief, sei der revolutionäre Versuch einer Minderheit gewesen, „entgegen der Tendenz dieser Gesellschaft zur Umwälzung der kapitalistischen Verhältnisse beizutragen“. Das Resümee nach mehr als einem Vierteljahrhundert mit rund sechzig Toten auf beiden Seiten: „Das Ende dieses Projektes zeigt, daß wir auf diesem Weg nicht durchkommen konnten.“ Die Autoren räumen ein: „Die RAF konnte keinen Weg zur Befreiung aufzeigen.“

Die Erklärung aus dem Untergrund kommt überraschend, weil sie auch in der linksradikalen Szene seit Jahren als überfällig gilt. Kaum noch jemand hatte mit diesem Auflösungsbeschluß gerechnet. In der Sache führt das neue Schreiben wenig Neues an: Bereits im April 1992 hatte die RAF den Verzicht auf weitere Attentate auf führende Politiker und Wirtschaftskapitäne erklärt und ein Scheitern des bewaffneten Kampfs eingeräumt. Damals hieß die Parole, gemeinsam mit anderen „eine soziale Gegenmacht von unten“ aufbauen zu wollen. Der Versuch blieb im Ansatz stecken. Die linksradikale Szene beschäftigte sich seitdem kaum noch mit der RAF.

In dem vielleicht letzten RAF- Schreiben erinnern die Autoren daran, daß heute noch „neun frühere Militante“ in den Gefängnissen einsitzen. Unterstützt würden nun alle Bemühungen, „die dazu führen, daß die Gefangenen aus dieser Auseinandersetzung aufrecht aus dem Knast kommen“.

Auffallend an dem Schreiben ist, daß die VerfasserInnen an keiner Stelle auf die vermeintlichen Morde in Stuttgart-Stammheim im Herbst 1977 eingehen. Jahrelang hatte die Behauptung vom gewaltsamen Tod von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im siebten Stock des Hochsicherheitsgefängnisses als Beleg dafür gedient, daß der Staat gegen seine Kritiker auch mit äußerster Härte vorgeht. Im Kontext des Herbsts 1997 gehen die Schreiber auch selbstkritisch auf die Entführung des Urlauberjets „Landshut“ durch ein palästinensisches Kommando ein. Der Versuch, damit Druck für die Befreiung der RAF- Gefangenen zu erzeugen, sei damals fehlgeschlagen, „die sozialrevolutionäre Dimension des Kampfes nicht mehr identifizierbar“ gewesen. Wolfgang Gast Morgen in der taz: Dokumentation des RAF-Auflösungsbriefes