Kritik und Zweifel sind nicht zugelassen

Welche Rolle spielte Frankreich beim Völkermord in Ruanda? Führende französische Politiker jener Zeit weisen vor der Ruanda-Informationsmission des französischen Parlaments alle Vorwürfe komplett zurück  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

War Frankreich Brandstifter oder Feuerlöscher bei dem Konflikt in Ruanda, der im Frühjahr 1994 mindestens 800.000 Menschenleben kostete? Dieser Frage geht seit mehreren Wochen eine Informationsmission des französischen Parlamentes nach. Gestern hatte sie zum ersten Mal die ministerialen Schwergewichte der konservativen Pariser Regierung des Jahres 1994 geladen. Die vier Männer – Premierminister Edouard Balladur, Außenminister Alain Juppé, Verteidigungsminister François Léotard und der auf Afrikafragen spezialisierte Minister für Zusammenarbeit, Michel Roussin – nutzten die Gelegenheit, um gegen eine von ihnen so genannte „Kampagne gegen Frankreich“ zurückzuschlagen. „Die Länder, die vor vier Jahren nichts getan haben, klagen heute Frankreich an“, erklärte Balladur.

Der konservative Ex-Premierminister beschrieb, wie Frankreich nach dem Attentat auf das Flugzeug, bei dem am 6. April 1994 neben den Präsidenten von Ruanda und Burundi auch der ruandische Militärchef sowie drei französische Offiziere umkamen, und das das Startsignal für den Genozid war, versucht habe, Unterstützung für eine internationale Intervention in Ruanda zu finden. „Die USA“, so versuchte Balladur die Zurückhaltung der anderen zu erklären, „waren traumatisiert von dem Scheitern ihrer Somalia-Mission. Belgien hatte den Mord seiner Blauhelme nicht vergessen, Deutschland konnte aus Verfassungsgründen nicht eingreifen, und England betrachtete das nicht als seine historische Einflußzone.“ Bloß Italien sei damals „im Prinzip“ zu einer Unterstützung bereit gewesen, zu der es allerdings nie gekommen sei.

Statt der erhofften Unterstützung aus Europa und den USA habe Frankreich deswegen nach der entsprechenden Entscheidung des Weltsicherheitsrates die humanitäre Operation „Türkis“ allein mit der Unterstützung von afrikanischen Kontingenten aus Senegal, dem Tschad, Nigeria, Guinea-Bissau, Mauretanien und dem Kongo durchgeführt. Übereinstimmend erklärten die vier Konservativen gestern, daß bei jener zweimonatigen humanitären Mission Zehntausende Menschenleben gerettet worden seien. Ex-Außenminister Juppé erinnerte gestern daran, daß 1994 der internationale Beifall für das französische Engagement groß gewesen sei. Der damalige US-Außenminister Warren Christopher habe ihm persönlich seine „Bewunderung“ ausgesprochen, sagte er.

In den Monaten, die dem offenen Gewaltausbruch in Kigali vorausgegangen waren, wollen Balladur und sein Außenminister Juppé „großen Druck“ auf die Regierung des ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana ausgeübt haben. Im Jahr 1993 habe Frankreich vor allem versucht, „eine Machtbeteiligung aller ruandischen Kräfte“ – Hutu und Tutsi eingeschlossen – zu erreichen, erklärte Juppé. Die entsprechenden Abkommen von Arusha führte er als Beweise für die Fortschritte jener Politik an, die letztlich mit dem Attentat auf die Präsidentenmaschine gescheitert sei.

Über die Vorgeschichte des blutigen Konfliktes in dem afrikanischen Land, mit dem Frankreich seit 1975 ein Kooperationsabkommen hatte, fielen die Informationen gestern in Paris knapper aus. Balladur legte bloß Informationen aus seiner eigenen Regierungszeit vor, die 1993 begann und 1995 endete. Und selbst für diesen Zeitraum ließ er wichtige Fragen offen oder gab sie an die Informationsmission zurück. So erklärte er, daß im April 1993 jegliche französischen Waffenexporte nach Ruanda von der beim Premierminister angesiedelten Verteidigungskommission gestoppt worden seien. Zugleich – und widersprüchlicherweise – regte der Ex-Premierminister gestern an, daß neuerliche Untersuchgungen über etwaige französische Rüstungslieferungen nach dem April 1994 angestrengt werden sollten.

Ex-Verteidigungsminister Léotard betonte die Rolle der USA und Ugandas bei der Genese des Konfliktes in Ruanda. Die USA hätten in Arizona Kräfte der RPF in der Handhabung von Boden-Luft-Raketen ausgebildet. In Uganda habe sich das Hauptquartier der RPF befunden. Und die Rakete, mit der die ruandische Präsidentenmaschine abgeschossen worden sei, stamme aus sowjetischer Produktion und sei durch ugandische Hände gegangen, bevor sie in Kigali eingesetzt worden sei. „Durch französischer Hände ist diese Waffe nicht gegangen“, sagte Léotard. Dieser Vorwurf war zuvor vor der Parlamentskommission erhoben worden.

Die franko-amerikanische Konkurrenz in Afrika, die Rolle der anglophonen Regionalmächte, aber auch die Genese der privilegierten Beziehungen von Paris zu afrikanischen Diktatoren konnten gestern nur angerissen werden. Die Ruanda-Informationsmission hat sich mehrere Monate Zeit für ihre Arbeit genommen.