Shell will sauber werden

Der Ölkonzern legte gestern in Hamburg einen Plan für nachhaltige Entwicklung vor. Menschenrechte und Umwelt sollen respektiert werden  ■ Aus Hamburg Matthias Urbach

Eine Herde Karibus auf ihrer Wanderung durch die Tundra soll signalisieren, wo die Reise hingeht: Die Tiere schmücken die Titelseite des neuen Shell-Reports 1998. Sie sollen die „Verwundbarkeit“ der Natur darstellen, und die will Shell künftig besser im Blick haben. Tatsächlich fällt es dem kritischen Betrachter nicht schwer, sich statt der Karibus einen Shell- Förderturm vorzustellen. Diese Zweifel will der weltgrößte Ölkonzern gerne ausräumen: In dem Report, den Shell stolz seinen ersten integrierten Geschäftsbericht nennt, versucht Europas größter Konzern erstmals, sich an der Leitlinie der nachhaltigen Entwicklung zu orientieren.

Der Bericht faßt wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte zusammen. „Wenn wir auch stolz auf diesen Bericht sind“, sagte Mark Moody-Stuart, Shell-Verantwortlicher für Handel und Transport, „so ist uns doch bewußt, daß er weit entfernt davon ist, perfekt zu sein.“ Der Bericht sei nur ein Start, und die Öffentlichkeit solle Shell beim weiteren Fortschritt helfen. Der Report enthält bereits einen groben Fahrplan: Innerhalb von fünf Jahren soll ein wirklich integrierter Prozeß samt Report geschaffen werden.

Einen kleinen Fortschritt hatte Moody-Stuart aber sofort zu berichten: Shell ist aus der mächtigen Anti-Klimaschutz-Lobby Global Climate Coalition (GCC) ausgetreten. Die GCC untergräbt in den USA seit Jahren die Bemühungen Präsident Clintons für den Klimaschutz. Der Shell-Report formuliert außerdem neun Prinzipien, darunter auch Menschenrechte, „Aufrichtigkeit im Geschäftsleben“ und Umweltschutz.

Tatsächlich ist außergewöhnlich an dem Report, daß Shell neben den altbekannten Themen Brent Spar und Nigeria auch weitere wunde Punkte anspricht: So sind vergangenes Jahr 23 Shell-Mitarbeiter wegen Bestechung entlassen worden. Der Bericht beklagt außerdem, daß zu viele Männer überwiegend aus USA, Großbritannien und Holland das Topmanagment beherrschen.

Daß sich ausgerechnet ein Ölkonzern nachhaltige Entwicklung auf die Fahnen schreibt, freut auch den Umweltmanagementberater Maximilian Gege vom Öko-Manager-Verein BAUM: „Wenn Shell das glaubhaft umsetzt, wäre das eine große Hilfe für unsere Arbeit, gerade weil zur Zeit angesichts Asien-Krise und dem Blick auf den Shareholder-Value Umwelt nicht so hoch im Kurs steht.“

Aufgelistet im Report sind auch die geplanten Investitionen in einen Geschäftszweig „Erneuerbare Energien“: 500 Millionen US-Dollar innerhalb von fünf Jahren. Sie machen allerdings nur ein Zehntel von dem aus, was das Unternehmen in die Erschließung neuer Öl- und Gasvorkommen steckt.

Shell läßt sich bei der Umsetzung der neuen Prinzipien von der Unternehmensberatung Arthur D. Little beraten. Bis Ende nächsten Jahres sollen alle Konzernvertretungen Richtlinien zu Gesundheit, Sicherheit und Umwelt befolgen. 1997 hat sich Shell eigenen Angaben zufolge von 95 Zulieferern getrennt, weil sie diesen Ansprüchen nicht genügten oder gegen Arbeitsrechte verstießen.

Neu ist auch die Offenheit, mit der Shell den neuen Weg beschreiten will. Für die neuen Ziele will Shell „aussagekräftige Leistungsdaten“ vorlegen. Das überzeugte offenbar auch John Elkington von der britischen NGO SustainAbility. Der hatte vor zwei Jahren noch eine Beratungsanfrage von Shell mit dem Hinweis abgelehnt, Shells Manager pflegten eine Verweigerungshaltung; mit Druck von außen sei wohl mehr zu erreichen. Elkington soll nun regelmäßig über Shells Fortschritte berichten. In jedem Fall ist Shells neuer Ansatz ein Erfolg der Menschenrechts- und Umweltbewegung.

Doch auch wenn Shell mit weltweit über 100.000 Mitarbeitern und 171 Milliarden US-Dollar Umsatz für sich beansprucht, als erster Konzern einen integrierten Report zu veröffentlichen, heißt das nicht, das das sogleich das Image aufpoliert. Die traditionelle Financial Times -Umfrage unter Top-Managern nach den meistrespektierten Konzernen ergab, daß Konkurrent BP die Shell-Gruppe wieder abgehängt hat.