Die Demokratie verfault von unten

In Brandenburg stehen 180 Gemeinden vor der Pleite. Hohe Abgaben und niedrige Einnahmen lassen keine Luft mehr für eigene Entscheidungen. In sieben Dörfern legten Gemeindevertreter aus Protest ihr Amt nieder  ■ Von Thorsten Denkler

Berlin (taz) – Von so etwas wie Basisdemokratie spricht im uckermärkischen Amt Prenzlau Land niemand mehr. Vor zwei Monaten sind hier 69 Gemeindevertreter aus sieben von neun Dörfern zurückgetreten. Sie sind frustriert, weil es keinen Sinn hat, sich einmal im Monat zu treffen, wenn im Jahreshaushalt nur 200 Mark zur freien Verfügung stehen. Nur die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind noch auf ihren Posten. Das Gesetz erlaubt ihnen nicht, ihr Amt niederzulegen, wenn der Gemeinderat schon zurückgetreten ist. Sonst hätten auch sie angesichts leerer Kassen ihrem Ehrenamt den Rücken zugekehrt.

Als 1990 die ersten freien Kommunalwahlen und die letzten in der damals noch existierenden DDR vor der Tür standen, waren die Hoffnungen noch groß. Kreistage, Stadt- und Gemeinderäte stellten sich dem Votum ihrer Bürger. Endlich sollten es nicht mehr die allmächtigen Bezirke sein, die über Wohl und Wehe eines Dorfes zu entscheiden hatten. Das Zauberwort hieß kommunale Selbstverwaltung. Die Kommunen sollten selbst entscheiden, was sie mit ihrem Geld tun oder lassen wollten.

„Damals haben alle geglaubt, daß mit der kommunalen Selbstverwaltung alles besser wird“, meint der Präsident des Städte- und Gemeindebundes von Brandenburg, Waldemar Kleinschmidt. Das war ein Irrtum. Acht Jahre später sind die Hoffnungen von damals verflogen.

Es gibt nicht mehr viel zu entscheiden, wenn die Kassen leer sind. Die Gemeinden trifft es besonders hart. Während die Länder einfach den Kommunen weniger Geld geben und auch die Kreise den Gemeinden immer mehr abverlangen, könnten die Städte und Gemeinden nur noch auf ihre Bürger zurückgreifen. Doch sind auch deren Taschen leer, da ist auch nichts mehr zu holen.

In ganz Brandenburg stehen nach Angaben des Städte- und Gemeindebundes bereits 180 Gemeinden unmittelbar vor der Zahlungsunfähigkeit. Bis Jahresende werden demnach weitere 600 nicht mehr in der Lage sein, ihre Rechnungen zu begleichen. In zahlreichen Dörfern überwachen jetzt Staatsbeauftragte der Kreisverwaltung die Gemeindefinanzen. Sie kürzen, was noch zu kürzen ist. Vor allem bei den freiwilligen Leistungen. Das Gemeindefest, Kulturangebote, der Zuschuß für den Jugendclub, kurz: alles, was das Leben auf dem Dorf lebenswert macht, wird gestrichen.

Das verstärkt das Mißtrauen gegenüber dem Landkreis Uckermark. Dem geht es zwar finanziell nicht viel besser als den Gemeinden (seit 1992 gibt es eine Haushaltssperre), die sogenannten freiwilligen Leistungen bilden im Etat des Kreises dennoch einen ansehnlichen Posten. Dazu gehören auch ein vom Kreis bezahltes Kammerorchester und ein umfangreiches Kulturprogramm. Das gehe auf Kosten der Gemeinden, sagen viele Kommunalpolitiker.

Die Dörfer stecken in einem Dilemma. Weil immer weniger Geld vom Land in die Kommunen fließt, sind die Gemeinden gezwungen, immer mehr Aufgaben auf den Landkreis oder ihr Amt zu übertragen. Wo Schulen gebaut, Straßen erneuert oder Gehwege angelegt werden – bei alldem kann ein Dorf letztlich kaum noch mitreden.

Auch im Kreistag haben die Gemeinden nur wenig zu sagen. Als zu Beginn des Jahres die Kreisumlage, also der Anteil am Gemeindehaushalt, der an den Kreis abgeführt werden muß, erhöht wurde, standen Zahlen jenseits der 40-Prozent-Marke im Raum. Nur der massive Protest verschiedener Gemeinderäte bewog die Kreistagsabgeordneten zum Einlenken. Jetzt ist die Kreisumlage nur um zwei Prozent auf 38,5 gestiegen. Doch jedes Prozent belastet die Haushalte der Dörfer mit insgesamt 1,7 Millionen Mark.

Zuviel für die 152 Gemeinden im Kreis. Die meisten von ihnen haben weniger als 500 Einwohner. Die Steuereinnahmen sind entsprechend gering. So hat die 217-Seelen-Gemeinde Güstow einen Jahreshaushalt von 280.000 Mark. Allein 217.000 Mark davon gehen für die Kreis- und Amtsumlagen drauf. Der Rest, rund 64.000 Mark, reicht gerade, um die laufenden Kosten zu decken. Rücklagen hat Güstow keine mehr. Unterm Strich bleibt nicht einmal mehr ein Taschengeld.

Die einzige Lösung für die Misere scheint die Bildung von Großgemeinden zu sein. Kleine Dörfer sollen sich mit größeren zusammenschließen. Dagegen wehren sich die Gemeinderäte. Sie fürchten um die Eigenständigkeit ihrer Dörfer. Viele blicken auf eine jahrhundertealte Tradition zurück und fürchten, bei einer Zusammenführung geschluckt und zum Anhängsel degradiert zu werden. Dann, so glauben viele, werden die Dörfer nur noch Wohngebiete sein. Ohne eigene Identität und ohne eigene Zukunft.