Kein Kinderkram Fuck Mickey Mouse: Das Alabama zeigt Preziosen aus der Zeichentrick-Gründerzeit Von Jens Balzer

Die erste Zeichentrickheldin der Kinogeschichte war ein Dinosauriermädchen und hieß Gertie: 1914 spielte sie die Titelrolle in einem Fünfminutenfilmchen, mit dem der Comic-Zeichner Winsor McCay über die New Yorker Vaudevilles tingelte. Zu den, wie das Publikum fand, täuschend echten Bewegungen Gerties kasperte der Künstler persönlich vor der Leinwand herum. Mit rüden Kommandos rief er sein sensibles Geschöpf auf die Bühne, ließ Gertie possierliche Kunststückchen aufführen und warf ihr zur Belohnung schließlich einen Kürbis ins Maul.

Gertie the Dinosaur war nicht der erste Zeichentrickfilm, den McCay der staunenden Öffentlichkeit präsentierte. Zuvor hatte er sich schon an einer Adaption seiner Little Nemo in Slumberland-Comics versucht, mit allerdings mäßigem Erfolg. Erst die Kombination aus Live-Auftritt und Kinoprojektion begeisterte das Publikum – und verhalf, ganz generell, den „Cartoons“als neuem Medium zum Durchbruch. Denn so groß war die Wirkung der Gertie-Multimedia-Show, daß sich zahlreiche weitere Comic-Zeichner für Kino-Adaptionen ihrer Serien zu interessieren begannen. McCays genialer Kollege Rube Goldberg gründete ein eigenes Studio, um zu seiner Boob McNutt-Serie Boob Weekly-Filme zu drehen; George Herriman vergab die Rechte für seine Krazy Kat-Figuren an den Zeichner Leon Searl. Dessen Filme gerieten zwar amüsant, konnten dem bizarren Humor der Vorlage jedoch keine adäquaten Geschichten entgegensetzen. Am besten gelang die Synthese von Comic- und Cartoon-Produktion Otto Messmer. Wie schon seine Felix The Cat-Comics begeisterten auch Messmers gleichnamige Filme durch das dadaistische Spiel des Titel-Katers mit den Naturgesetzen.

Gertie the Dinosaur, Krazy Kat und Felix the Cat sind nur einige jener selten aufgeführten Preziosen aus der Frühzeit des Zeichentrickfilms, mit denen das Alabama Cineasten und Comic-Freunde gleichermaßen verwöhnt: in vier Programmen, die der New Yorker Filmhistoriker Dennis W. Nyback zusammengestellt hat. In Best Of Silent Animation schlägt er den Bogen von den frühen Filmen Winsor McCays bis zum Wendepunkt in der Cartoon-Geschichte – den ersten vertonten Zeichentrickfilmen, die der junge Walt Disney 1928 präsentierte. Seine Cartoons Plane Crazy und Steamboat Willie brillierten nicht bloß durch die Geschmeidigkeit der Tierfiguren. Sensationell auch der Soundtrack. Die beiden Mäuse namens Mickey und Minnie wußten nicht nur stets ein fröhliches Liedchen zu pfeifen – wer oder was ihnen auch über den Weg lief, wurde sofort als Musikinstrument zweckentfremdet.

Der spontane Publikumserfolg reizte andere Cartoon-Zeichner zum Imitat. Mit abgeworbenen Disney-Angestellten versuchten konkurrierende Firmen, eigene Zeichentrickstudios aufzubauen. Warner Brothers etwa kreierten eine undefinierbare Knubbelfigur namens Bosko und eine Maus namens Foxy: Solche längst vergessenen Mickey-Imitate hat Nyback in einem Fuck Mickey Mouse-Programm zusammengestellt. Er zeigt darin aber auch die heftigen Attacken, die der Cartoon-Anarch Tex Avery in den Vierzigern gegen den etablierten Disney-Konzern ritt – wie in der Parodie Red Hot Riding Hood aus dem Jahr 1943. Darin weigert sich ein Haufen disneyhafter Figuren aus lauter Langeweile, die angefangene Rotkäppchen-Geschichte bis zum Ende weiterzuspielen.

Doch wenn auch Zeichner wie Avery die „Bravheit“der Disney-Filme satirisch monierten: Deren handwerklicher Perfektion haben sie immer Respekt gezollt. In den Dreißigern gab es eigentlich nur ein Studio, dessen Mitarbeiter sich mit den Disney-Animateuren messen konnten: Es gehörte den Brüdern Max und Dave Fleischer. Ihre Cartoons zeichneten sich vor allem dadurch aus, daß sie ohne Storyline produziert wurden. Sie waren allein auf vorgegebene Jazz-Songs choreographiert. Dem beliebtesten Star der frühen Fleischer-Tonfilme, der Tänzerin Betty Boop, ist ein weiterer Abend gewidmet. The Birth Of Betty Boop versammelt ihre frühesten Filme – vom ersten Auftritt, in dem sie noch als treuäugige Hundedame erschien (Dizzy Dishes, 1930), bis zu ihrem größten Erfolg als voll ausgebildeter männermordender Vamp (Is My Palm Red?, 1933). Bettys zweifellos erstaunlichster Auftritt ist aber im vierten Programm, 1930's Jazz and Animation, zu sehen. Das Stück Snow White (1933) ist eine Mischung aus Real- und Zeichentrickfilm.

Niemand anderes als Cab Calloway dirigiert darin das Orchester, zu dessen Musik Betty Boop tanzt: in bizarren und surrealistischen Bildern, die eher an Buñuel als an Disney erinnern.

The Birth Of Betty Boop + Fuck Mickey Mouse: Sa, 25. April, 22.30 Uhr. 1930's Jazz & Animation: So, 26. April, 20.15 Uhr. Best Of Silent Animation: So, 26. April, 22.30 Uhr, Alabama. Alle Filme laufen in Originalfassung.