Eher in den Himmel als nach Europa

„Blinde Passagiere“: Seit zwei Wochen sitzt ein namenloser kranker Flüchtling in Hamburg im Gefängnis. Buch über das Schicksal von „stowaways“erschienen  ■ Von Elke Spanner

Gründonnerstag 1998. Die „MS Osnabrück“läuft im Hamburger Hafen ein. Zwei Wochen zuvor war das unter deutscher Flagge laufende Schiff von der Elfenbeinküste in Westafrika ausgelaufen. Erst jetzt in Hamburg entdeckt die Besatzung, daß sich zwei Flüchtlinge an Bord befinden: „Blinde Passagiere“, auch „stowaways“genannt, die sich in einem Laderaum versteckt hielten, um auf diesem Wege nach Europa zu gelangen. Die Überfahrt sollte jedoch nicht ihre schwerste Etappe bleiben.

Der eine ist bereits wieder auf der Rückfahrt, ohne das Schiff je verlassen zu haben. Der andere war mit schweren Unterkühlungen bewußtlos im Frachtraum geborgen worden. Er ist seither eingeschlossen im Zentralen Krankenhaus der Hamburger Gefängnisse (ZKH) auf dem Gelände der Untersuchungshaftanstalt – so lange, bis er als gesund gilt und mit dem nächsten Schiff wieder an die Elfenbeinküste verfrachtet wird.

Sämtliche Versuche, mit dem Mann Kontakt aufzunehmen und ihm Rechtsbeistand zu gewähren, sind gescheitert. Denn selbst RechtsanwältInnen müssen dafür seinen Namen kennen, und den geben die Behörden nicht preis. „Datenschutz“, heißt es zynischerweise.

Die Weichen für diese Abschottung werden noch an Bord des Schiffes gestellt, mit dem ein stow-away den Hafen erreicht. „Blinde Passagiere“werden von der Wasserschutzpolizei in Empfang genommen. Die erläßt umgehend einen sogenannten Zurückweisungsbeschluß, und das heißt: Juristisch gilt der stowaway als nicht in die Bundesrepublik eingereist – er wird im Gefängnis „verwahrt“, bis das nächste Schiff ins Herkunftsland ausläuft. Nur wenn der Flüchtling schon vorher über die Möglichkeit informiert war, einen Asylantrag zu stellen, kann er das tun und damit „einreisen“. Wie aber sollte er davon erfahren? Rund 100 stowaways erreichen jährlich Hamburg. Den Alltag hier und in anderen europäischen Hafenstädten beschreiben eindrücklich Marily Stroux und Reimer Dohrn in ihrem Buch „Blinde Passagiere“, gerade erschienen im Verlag „Brandes & Apsel“.

Offensichtlich wird darin, wieso auch Reedereien kein Interesse daran haben, einen stowaway zu unterstützen, den sie auf ihren Schiffen entdecken. Sie nämlich sind zu dessen Rücktransport verpflichtet – und zur Übernahme sämtlicher Kosten, die bis dahin entstehen: für die Unterbringung, die Verpflegung, die Verwaltung. Dem Kostendruck entsprechend sind die Schiffseigner willige Helfer der deutschen Polizei, oder, wie Dohrn und Stroux schreiben: „Die Kapitäne und Besatzungen werden so gezwungen, das Abschottungsinteresse der reichen Länder zu ihrer eigenen Sache zu machen.“

Das System funktioniert. 1996 warf die Besatzung des dänischen Frachters „Karen Clipper“einen Westafrikaner, der sich an Bord versteckt hatte, 25 Seemeilen vor der Küste Sierra Leones ins Meer. Weltweit gibt es Unternehmen, die Reedereien gegen das „Risiko Blinder Passagier“versichern. Die stehen nicht allein mit Geld, sondern auch mit Pässen zu Diensten, falls die Rückfahrt des stowaway an Einreisepapieren zu scheitern droht.

Das Buch „Blinde Passagiere“wird durchzogen von der Schilderung des Schicksals von neun Liberianern, die im Februar 1996 den Hamburger Hafen erreichten. Man erfährt ihren ersten Eindruck von diesem Land: „Wir waren auf dem Schiff in unseren Kabinen, als wir Polizisten sahen, die mit Handschellen kamen, die sie um unsere Hände legten.“Und wie sie Deutschland wieder verlassen mußten, kaum daß sie es erreicht hatten.

Es ist ein Buch, in dem die Bilder und Fotos einen Text nicht illustrieren, sondern eigene Geschichten erzählen. „Es ist leichter, in den Himmel zu kommen als nach Europa“: Das Zitat auf dem Buchtitel zeigt nicht nur den Inhalt des Buches an, es resümiert ihn auch.

Marily Stroux/Reimer Dohrn: Blinde Passagiere, Verlag Brandes & Apsel, 22,80 Mark