Der Perfektionist als Rebell

■ Das Wilhelm-Wagenfeld-Haus würdigt die Gebrauchskunst seines 1900 in Bremen geborenen Namensgebers

„Wenn ein Maler ein schlechtes Bild malt, sind nur der Künstler und der Auftraggeber davon betroffen; wenn ein Industrieprodukt schlecht ist, sind es Millionen von Menschen.“Dies soll der in Bremen geborene Formgeber alias Designer Wilhelm Wagenfeld (1900-1990) oft gesagt haben. Jedenfalls erinnert sich seine Frau Erika daran. Aus gegebenem Anlaß war sie gestern in Bremen. Denn außer in ihrem eigenen Haushalt ist jetzt wohl nur noch in der zum Wilhelm-Wagenfeld-Haus umgebauten Ostertorwache so viel Gebrauchskunst ihres Mannes zu sehen.

„Das hat doch alles eine Ausstrahlung“, gerät Erika Wagenfeld auch acht Jahre nach dem Tod Wilhelms ins Schwärmen. Doch auch ohne ein Verwandtschaftsverhältnis mit dem Maholy-Nagy-Schüler ist diese Ausstrahlung durch das Glas spürbar: Ungezählt sind die Lampen, Kaffeekannen, Geschirrteile aus Preßglas, Karaffen, Schreibmaschinen, Gläser, Butterdosen, Lampen oder Küchensiebe, die da in den Vitrinen der Ausstellungsräume vor dem Zugriff der ZuseherInnen geschützt werden. Den einen oder anderen Gegenstand mag man – wie die „Bauhauslampe“– aus dem Katalog oder – wie das Buchsteiner-Salatsieb und das Jenaer Glas – aus dem Küchenschrank kennen. Doch nur Erika Wagenfeld hatte die besondere Ehre, die Entwürfe zu testen: „Ich mußte ausprobieren, ob eine Kanne gut in der Hand liegt oder richtig gießt, und er hat mich dabei beobachtet.“

Wilhelm Wagenfeld machte mehr Aufhebens um seine Produkte als um sich selbst. Seine Arbeiten sind bekannter als ihr Schöpfer, dem zuletzt 1987 eine umfassende Retrospektive gewidmet war. Vor fast genau 98 Jahren in engagiert sozialdemokratisches Elternhaus geboren und nach Angaben seiner Frau „immer rebellisch“geblieben, absolvierte er zur Zeit des Ersten Weltkriegs eine Industriezeichnerlehre in der Bremer Silberwarenfabrik Koch & Bergfeld. Studien und Ausbildungen zum Silberschmied in Hanau und dann am Weimarer Bauhaus schlossen sich an. Diese Zeit zwischen 1923 und 1925 hat ihn stark und bis ins hohe Alter beeinflußt, erinnert sich Erika Wagenfeld. Und dies obwohl sein Formgestalten zum halb spaßigen und halb bitterernsten Entsetzen Laszlo Maholy-Nagys später weicher geworden sind.

Design in sozialer Verantwortung läßt sich Wilhelm Wagenfelds Devise etwas prosaisch überschreiben. Treffender bringt es das Wort Perfektionismus auf den Punkt, an den sich auch der ehemalige Leiter der „Werkstatt Wagenfeld“in Stuttgart, Heinz G. Pfaender, erinnert: „Wagenfeld ließ nichts durch, was nicht 150prozentig war.“Häufig hat er Formen um Zehntelmillimeter korrigiert, „und meistens sahen wir dann, daß er Recht hatte“.

Pfaender und Wagenfeld arbeiteten in den 50er Jahren zusammen. „Damals wurde viel gebaut, doch die Ausstattung der Gebäude war katastrophal“, sagt Pfaender. Doch für ihn, die jungen Schüler und den Chef selbst begann das Wirtschaftswunder erst später. Die – meist konservativen – Vertreter hatten einen Rieseneinfluß auf die Produktauswahl, und so haben der später hochdekorierte Wagenfeld und sein Team viel für die Schublade gezeichnet. Außerdem, so Pfaender, „habe ich nie jemanden erlebt, dem Geld so gleichgültig war“. Erst als ein US-Importeur nach einer Bestellung Jenaer Glas in den 60er Jahren auch eine Großbestellung für WMF-Besteck aufgab, stimmte die Kasse.

In der Ausstellung spielt dieser Karriereaspekt kaum eine Rolle. Im Gegensatz zu anderen Wagenfeld-Würdigungen liefern nur vier – große – Vitrinen einen chronologischen Überblick über Wagenfelds Schaffen. Ansonsten heißen die Ausstellungsabteilungen „Branchen“, „Planen und Entwickeln“oder „Licht“, in denen über die Epochen hinweg gezeigt werden soll, wie ein Industriedesigner denkt oder in den Vorcomputerzeiten dachte – nämlich offensichtlich immer von der vielstrichigen Skizze über das immer wieder variierte Modell bis hin zum Produkt.

„Das Einfache ist anders, ist weder modern noch unmodern, es ist da, nie irgendwie neben der Zeit entstanden“, wird Wagenfeld auf einer der Schrifttafeln zitiert, die wie Lesepulte an Metallstangen in den Ausstellungsräumen schweben. Deshalb vielleicht wirken angefangen bei der gläsernen Teekanne bis hin zur Jenaer Form viele der Wagenfeld-Objekte absolut zeitlos. Immerhin beeinflußt Wagenfeld die DesignerInnen noch heute: Acht Wagenfeld-NachfolgerInnen kommentieren und ergänzen die Ausstellung mit Körben, Anrufbeantworter, einem Ökokühlschrank oder einem Notrufgerät. Denn schließlich soll das Wagenfeld-Haus kein Museum werden. ck

„Wilhelm Wagenfeld – Wegbereiter der Moderne“bis zum 15. Juli. Öffnungszeiten: di-so von 10 bis 18 Uhr; zur Ausstellung ist ein sorgfältig gestaltetes Tagebuch Heinz G. Pfaenders über die gemeinsame Zeit von 1954-57 erschienen („Meine Zeit in der Werkstatt Wagenfeld“, Jo Klatt Design + Design Verlag, 48 Mark).