■ Frühling: Die Rückkehr der Down-Hill-Raser
: Mit siebzig Sachen am Kleinkind vorbei

Mit dem Fahrrad den Berg runterrasen ist eine geile Sache. Das fanden Garry Fisher und seine Kumpels in Kalifornien vor gut 30 Jahren auch. Und weil sie nicht immer einen freundlichen Nachbarn fanden, der ihre Zeitungsjungenräder mit den dicken Reifen den Mount Tamalpais hinaufkarrte, bauten sie kurzerhand Schaltungen an alten Rennrädern ab und montierten sie mit anderer Übersetzung an ihre Cruiser-Räder, so daß sie selbst die Berge raufradeln konnten, die sie runterfahren wollten. Das Mountainbike war erfunden.

30 Jahre und einige Millionen Dollar Umsatz später: Der Mountainbike-Markt ist satt, das große Geld ist nicht mehr zu machen. Doch nun hat die Branche das alte, geile Down-Hill-Feeling neu entdeckt. Während beim Mountainbiken generell cross-country gefahren wurde, das heißt, rauf und runter, hatte sich in den letzten Jahren die Spezies der reinen Down-Hill- Fahrer herausgebildet: Profi-Radler, die, unterstützt durch Sponsoren, mit speziell angefertigten, bis zu 10.000 Mark teuren Superrädern auf Talfahrt gehen. Naturgemäß waren es zunächst nur wenige, die sich diesem kostspieligen Sport verschrieben.

Allerdings blieben sie nicht lange unter sich. Angefeuert durch spektakuläre Darstellungen spektakulärer Rennen mit wiederum reichlich spektakulären Szenen, melden sich inzwischen immer mehr Privatstarter zu den großen Down-Hill-Rennen an, die Namen wie „Camicaze-Down-Hill“ tragen: Fahrer ohne Sponsoren, aber mit viel Begeisterung für den Extremsport und der Bereitschaft, jede verfügbare Mark ins Vehikel zu investieren.

Und so führt heute fast jeder Mountainbike-Hersteller auch mindestens ein „Down-Hill-Bike für jedermann“ im Programm. Mit guten 14 Kilo ist das Gerät so schwer wie ein altes Hollandrad, und in der Ebene fährt es sich, als habe man einen Sack Kartoffeln geladen. Wegen seiner komplizierten Schaltung ist das Rad bergauf nicht zu fahren; es muß zu Fuß, mit dem Auto oder der Seilbahn transportiert werden. Bergab aber ist es sauschnell – und mit Federgabeln, die elf Zentimeter weit einwippen, und Hinterbauten mit 15 Zentimeter Federweg werden selbst große Felsbrocken zu kleinen Steinchen, über die man einfach hinwegrollen kann. Ohne auf Hindernisse achten zu müssen, kann so ein ordentlicher Schwung erreicht werden. Mittreten bis Tempo 70 – und dann mit 80 Sachen in die Kurven. Und es geht noch schneller: Auf Spezialstrecken wurden im Rekordversuch schon 200 Stundenkilometer erreicht.

Der Trend zum Down-Hill- Kick wäre kein Problem, gäbe es, wie in den USA, Frankreich oder Italien, ausgewiesene Pisten für die Fahrer. Hierzulande gibt es keine speziellen Down-Hill-Strecken – rasende Down-Hill-Fahrer aber schon.

Wanderer und Förster, aber auch Rehe oder Hasen können zur Eröffnung der neuen Saison deshalb nur hoffen, nicht mit ihnen zusammenzutreffen – nicht zuletzt deshalb, weil sie im Gegensatz zu den Down-Hill-Fahrern ohne Integralhelm und Schutzkleidung durch den Wald streifen.

Und selbst Angehörige der Biker-Szene beklagen sich zunehmend über meist jugendliche Fahrer, die längst nicht mehr in abgelegenen Gegenden trainieren, sondern Ausflugsgebiete heimsuchen und hier zum Schrecken der Spaziergänger werden: Samstagnachmittag bei schönem Wetter etwa, wenn Familien mit Kind und Kegel den Waldausflug genießen wollen, brechen sie mit einer Mindestgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern aus dem Unterholz hervor und rasen knapp am Kleinkind vorbei.

Die Bikebranche nennt diesen Trend „ein Marktsegment erobern“. Roberto Hohrein