Kleider für die Skulptur

■ Happening der Mosfilm-Leute um Vera Muchinas "Arbeiter und Kolchosbäuerin"

Selbst die Konfektionsgröße fünfhundertvierzig hatte eine Moskauer Textilhandelsfirma nicht davon abhalten können, der Skulptur „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ Ende März neue Kleider zu spendieren. „Angezogen“ wurden die beiden von Alpinisten und Feuerwehrleuten. Schon ohne ihr klotziges Podest sind die Repräsentanten der Klasseneintracht 24 Meter hoch. Das Päarchen steht auch sonst nicht nackig am nördlichen Rande der russischen Hauptstadt. Doch die ihm einst auf den Leib geschmiedeten Gewänder sind mit der Zeit so löcherig geworden, daß Penner in dem Wahrzeichen unterschlüpfen.

Die Bildhauerin Vera Muchina schuf das Hammer und Sichel schwingende Ensemble aus rostfreien Stahlplatten für die Pariser Weltausstellung 1937. Dank dieser Skulptur überragte der sowjetische Pavillon dort den ansonsten gleich hohen des faschistischen Deutschland. Wenn die Nachwelt den „Arbeiter“ und die „Kolchosbäuerin“ nicht mit der totalitären Epoche identifiziert und ihre athletische Grazie noch immer würdigt, so verdanken die beiden dies ihrer zweiten Karriere: als Emblem der Produktionsfirma Mosfilm wurden sie bei Kinofans in aller Welt so beliebt wie der Metro-Goldwyn- Mayer-Löwe.

Ganz Moskau munkelte deshalb, Metro-Goldwyn-Mayer stehe hinter der Sache, als im Februar ein US-Geschäftsmann russischer Herkunft anbot, das marode Monument aufzukaufen. Solch unpatriotischer Klatsch und Tratsch rüttelte den Moskauer Rat für Stadtplanung wach. Das Gremium berief prompt eine Sitzung ein, auf der auch von der Umsetzung des Ensembles auf einen Platz in der Moskauer Innenstadt die Rede gewesen sein soll. Nicht zuletzt dagegen protestierten bei dem drei Tage währende Happening um die Skulptur SchauspielerInnen der Mosfilm. Singend und rezitierend verliehen sie der Befürchtung Ausdruck, ihr Markenzeichen könne wie Zunder zerbröseln.

Noch lange nicht besteht diese Gefahr bei Anna Iwanowna Bogojawlenskaja, die seinerzeit für die „Kolchosbäuerin“ Modell gestanden hat. Eine Moskauer Tageszeitung machte die 84jährige neulich in einem der umliegenden Dörfer ausfindig. Das Foto beweist: Noch immer sind Anna Iwanownas Nase und ihre Augenbrauen unverkennbar die der Skulptur beziehungsweise umgekehrt. Die alte Dame überrascht allerdings durch Zierlichkeit und ein verschmitztes Lächeln. Anna Iwanowna war 1936 Telefonistin und ihr Leben lang eine echte Stadtpflanze. Für Landwirtschaft begann sie sich erst vor 10 Jahren zu interessieren. Damals hatten ihr entfernte Verwandte ihre Moskauer Wohnung abgeschwatzt und sie zog in ein geerbtes Bauernhäuschen. Heute hält sie sich mit selbstgezogenen Lebensmitteln fit und besitzt sogar eine Sichel.

Bislang schien es, als habe die Aktion für und um das Monument den MoskauerInnen nur Freude bereitet. Aber dem Beamten Alexej Kurennoj bescherte sie Ende letzter Woche ein offizielles Schreiben. Es bestätigt, was die Spatzen bereits von den Dächern pfiffen: Er ist vom Dienst dispensiert. Als stellvertretender Chef der Hauptstädtischen Denkmalsbehörde hatte Kurennoj wohlmeinend grünes Licht für das Happening gegeben. Dabei hatte er allerdings die Rechnung ohne Moskaus autokratischen Oberbürgermeister Juri Luschkow gemacht. Der sieht es nun einmal nicht gern, wenn man ihm die Initiative aus der Hand nimmt. Niemand wolle die Skulptur umsetzen, und wenn sie nun einmal restauriert werden müsse, werde die Stadt sie allein restaurieren, donnerte Luschkow. Kurennojs weiteres Dienstschicksal ist ungewiß. Barbara Kerneck