Märchenhafter Abstieg

■ Oliver Stone dreht einen Film noir ganz ohne Botschaft: "U-Turn - Kein Weg zurück"

Kein anderer als Hans im Glück sitzt am Steuer des offenen Wagens und folgt frohgemut dem grauen Band der Staatsstraße durch die Wüste Arizonas. Das sagt die Musik in Oliver Stones neuem Film. Das singt Peggy Lee. „Yes its a good day, for singing a song, and its a good day for moving along.“ Ja, es ist ein guter Tag, die Depressionen loszuwerden und die Schuhe zu putzen, so Peggy Lee, denn es ist ein guter Tag, seine Schulden zu bezahlen.

Doch Sean Penn, der Bobby Cooper ist, wechselt im Autoradio die Stationen, und so rauscht für einen Moment ein ganz anderes Begehren über den Lautsprecher. „Take that ribbon from my hair, shake it loose and let it fly...“

Mit diesem kurzen musikalischen Intro ist die Geschichte seines märchenhaften Abstiegs schon umrissen. Sean Penn alias Bobby Cooper ist noch auf der Straße unterwegs, und der Kühlerschlauch seines „sixtyfour and a half Mustang“ ist (zu den Klängen von Rossinis Barbier von Sevilla) noch gar nicht gerissen, da legt Oliver Stone bereits seine Karten auf den Tisch.

Er macht kein Geheimnis darum, welche Geschichte er erzählen wird. Lakonisch wird er die Schraube ihrer heillosen und absurden Erzähllogik, die er sich aus rund einem Dutzend Filme des Genrekinos borgt, immer tiefer treiben, bis sie endgültig festsitzt und sich keinen Millimeter mehr rührt. Diese Bewegung vollzieht sich quälend perfekt. Sie ist nicht spannend im üblichen Sinn. Doch im Detail, mit jeder Drehung, mit der Stone die Schraube der Fabel zwangsläufig tiefer treibt, ist sie von einer nachgerade furiosen Komik.

Bobby Cooper ist also mit einem Batzen Gold, genauer gesagt, mit dreizehntausend Dollar in einer Sporttasche auf dem Weg nach Las Vegas, um dort endlich seine Spielmacher zu bezahlen. Nachdem ihm freilich sein Auto kaputtgeht, strandet er erst einmal in einer Mechanikerwerkstatt, deren ausgesprochen böswilliger Besitzer Darrell (Billy Bob Thornton) ein Überbleibsel von den letzten Dreharbeiten Russ Meyers zu sein scheint. Aber was kann Cooper anderes tun, als sich in Geduld zu fassen? Notgedrungen tauscht er also seinen Wagen gegen einen Besuch im nahe gelegenen Wüstenkaff Superior ein.

Der Fremde kommt in die Stadt. Es ist die klassische Westernsituation. Zwangsläufig sitzt der arme Indianer an einer Straßenecke; zwangsläufig treffen die Bankräuber ein; nur daß sie in Superior den örtlichen Lebensmittelladen überfallen; leider genau in dem Moment, in dem sich Cooper dort eine Soda kaufen will. Unfreiwillig tauscht er daher seine Sporttasche für die Wehrhaftigkeit der Ladenbesitzerin ein, die die Tasche mit den Dollarbündeln mit einem Blattschuß erlegt.

Die notwendigerweise einzige, aber entscheidende Frau, die der Western unter all den Männern erlaubt, ist zuvor bereits die Hauptstraße entlanggegangen. Penn alias Bobby Cooper begleitete sie in ihr Haus außerhalb des Ortes. Doch obwohl die schöne Grace (Jennifer Lopez) sagt, sie wohne bei ihrem Vater, ist es ihr Ehemann Jake McKenna (Nick Nolte), der mit einem kräftigen Faustschlag die nähere Bekanntschaft des Fremden mit seiner Frau verhindert. In der glühenden Hitze des Mittags tritt Penn den Rückzug an. Wenig später offeriert ihm Jake eine Rückfahrt im Auto – und einiges Geld für die Ermordung seiner Frau.

Aber Grace, die sowenig über ihre familiären Verhältnisse lügt wie Jake, ist nicht nur die singuläre Frau des Westerns, sondern zugleich die Femme fatale des Film noir, in dessen Spuren sich „U-Turn – Kein Weg zurück“ mit ihrem ersten Auftritt längst bewegt. So richtig vielversprechend wird der Deal aus ihrer Sicht natürlich erst andersherum.

Oliver Stone erzählt seine Geschichte gradlinig und chronologisch, er bleibt dicht an seinem Helden dran, der tragischer-, aber auch komischerweise weder böse noch gierig ist, sondern nur dem Schlamassel entkommen will, in den er abseits der Staatsstraße geriet. Gleichzeitig operiert Stone mit einem reichlich verzickten Inszenierungsstil gegen seine klassische Erzählhaltung. Anders als Volker Schlöndorff, der mit „Palmetto“ ebenfalls an den Trend zum Film noir anknüpfte und sein Heil in einer unüberschaubar sich windenden Geschichte sucht, findet Stone sein Glück im schieren Manierismus seiner Kameraeinstellungen.

Und dabei erweist er sich als einfallsreich. Seine Helden reden etwa auch dann noch – amerikanischen Serien ähnlich, die in einem langwierigen Türkisch synchronisiert wurden –, wenn sie ihren Mund längst geschlossen haben. Und daß sein Held nolens volens zu Fuß unterwegs ist, dehnt den Tag in Superior wie ein Gummiband. Auch der Inzest, der als ein neues Kinoklischee eingesetzt ist, wie früher die Schwindsucht der Opernheldin, akzentuiert den artifiziellen und abstrakten Stil von U-Turn ein weiteres Mal. Wie sich Stone von den Spaghetti noir eines Sergio Leone (dessen Musikmeister Ennio Morricone ihm die wohlbekannte Klapperschlangenmusik und zischenden Skorpiontöne liefert) zu „Double Indemnity“ und weiter zum „Duell in der Sonne“ voranarbeitet, das hat also vor allem Stil – und keine Botschaft. Und wenn Bobby Cooper deshalb zu seinem letzten, ganz schlechten Tausch ansetzt, dann war „U-Turn“ ziemlich unterhaltsam – nicht nur für Leute, die sich bei Godard-Filmen amüsieren. Brigitte Werneburg

„U-Turn – Kein Weg zurück“, Regie: Oliver Stone, Buch: John Ridley; mit Sean Penn, Nick Nolte, Jennifer Lopez, Billy Bob Thornton, Claire Danes Joaquim Phoenix, USA 1996, 125 Minuten