Die alten Männer laden zum letzten Tanz

Die heute beginnenden NBA-Play-offs dürften auch die letzten Auftritte der größten Teams der 90er Jahre werden: Nicht nur die Chicago Bulls, auch die Houston Rockets werden nach dem Ende dieser Saison auseinanderbrechen  ■ Von Thomas Winkler

Wie jedes Jahr wird Phil Jackson ein wenig Lektüre kaufen und jedem seiner Spieler ein Buch als geistiges Rüstzeug für die NBA- Play-offs schenken. Doch dieses Jahr wird sich zum letzten Mal ein Buchladen in Chicago über den Umsatz freuen können. Zum letzten Mal wird sich auch Dennis Rodman in Chicago die Haare färben. Scottie Pippen wird noch einmal seine lahmen Füße und den schmerzenden Rücken für den amtierenden NBA-Meister übers Parkett quälen. Und Michael Jordan? Der wird vielleicht sogar zum allerletzten Mal überhaupt die nach ihm benannten Schuhe schnüren.

Heute abend beginnen die Play- offs der National Basketball Association (NBA), und die nordamerikanische Basketball-Liga, in den letzten beiden Jahrzehnten weltweit das erfolgreichste Exempel für eine erfolgreiche Profiliga, steht am Scheideweg. Am Ende dieser Saison werden nicht nur diverse Altstars zurücktreten, die im letzten Jahrzehnt das Bild der Liga bestimmten und für ihren weltweiten Erfolg mitverantwortlich waren, auch die beiden erfolgreichsten Teams der 90er Jahre werden sogar komplett auseinanderbrechen. Sowohl die Chicago Bulls als auch die Houston Rockets, die alle Meisterschaften seit 1991 unter sich aufteilten, werden in der nächsten Saison ein komplett anderes Gesicht haben.

Houston, das in der regulären Saison gerade mal eine ausgeglichene Bilanz an Siegen und Niederlagen zustande brachte, qualifizierte sich nur als achtes und letztes Team im Westen für die Play-offs. Für die mediokre Bilanz der Texaner waren zu einem guten Teil die vielen Verletzungen der alternden Stars verantwortlich. Sieben Spieler sind bereits älter als 34, Charles Barkley, Clyde Drexler und Mario Elie waren über längere Zeit verletzt. Und ausgerechnet Hakeem Olajuwon, um den sich das gesamte Spiel der Rockets dreht, ist seit einer Knieoperation im November nicht mehr der dominierende Center, der er in den Meisterjahren 94 und 95 war. Barkley laboriert wie schon seit Jahren am Rücken, spielte in letzter Zeit katastrophal, redet immer noch zuviel und kündigt mal wieder seinen Rücktritt an. Der ist bei Drexler schon sicher. Der zehnfache All- Star und sichere Kandidat für die „Hall of Fame“ freut sich jetzt schon auf seinen neuen Job: Er wird Trainer beim College in Houston, an dem er zusammen mit Olajuwon in sehr viel jüngeren Jahren selbst spielte. Die Abschiedstournee der Rockets könnte ziemlich kurz ausfallen, denn in der ersten Runde treffen sie auf Utah Jazz, das beste Team der regulären Saison. Die Jazz sind selbst kein ganz junges Team mehr, und dies ist wohl auch ihre letzte Chance, doch noch mal den Titel zu gewinnen, denn Superstar Karl Malone ist nicht mehr glücklich im Mormonenstaat und dachte schon mal laut über einen Vereinswechsel nach. Ob Malone wirklich die Jazz verläßt, wird auch davon abhängen, ob Utah Meister wird. Doch die erste Hürde sind die Altmeister von den Rockets, die Malone stärker einschätzt als die vermeintlichen Fachleute. „Man darf nicht darauf hören“, sagte er Reportern, „was ihr Kerle so schreibt.“

Im Finale könnten wie im letzten Jahr die Chicago Bulls warten. Das ist durchaus möglich, falls der zuletzt schwächelnde Jordan zu seiner üblichen Stärke in den wichtigen Spielen zurückfindet. Da davon jeder ausgeht, wird plötzlich die Gesundheit von Luc Longley entscheidend. Der Center hat es am Knie, und Coach Jackson sagt: „Mir geht es erst wieder gut, wenn ich ihn auf dem Court sehe.“

Das beherrschende Thema in Chicago ist allerdings weniger die Meisterschaft, als die Frage, was von der Mannschaft, die die letzten beiden NBA-Titel gewann, nach dieser Saison übrigbleibt. Jordan hat sein Schicksal an das seines Coaches geknüpft, und dessen Vertrag wird mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr verlängert. Noch hat sich Jordan nicht geäußert, aber alle Welt geht von seinem Rücktritt aus. In Chicago kann er nicht bleiben, wenn Jackson gegangen wird, und andere Klubs können sich den Superstar nicht leisten, wenn der nicht nur für ein Taschengeld auflaufen möchte. Dennis Rodman, der bereits eine neue Karriere als Profi-Wrestler vorbereitet, wird auf keinen Fall einen neuen Vertrag bekommen, und auch Scottie Pippen wird sicher nicht bleiben, weil er sich schon seit Jahren in Chicago unterbezahlt fühlt. Selbst wenn die Bulls ihren sechsten Titel in den 90ern gewinnen sollten, wofür sie die meisten für zu alt und zu abhängig von Jordans Form halten, müßte ein Wunder geschehen, daß das Bulls-Management noch einmal den Geldbeutel aufmacht und den Neuaufbau verschiebt, der eigentlich schon vor dieser Spielzeit beginnen sollte.

Aber wenn Jordan aufhört, droht auch die NBA abzustürzen, denn die Medien und die Fans scheinen nur noch am besten Basketballer aller Zeiten interessiert zu sein. Womit die Liga ein Jahrzehnt lang gut gefahren ist, nämlich Jordan zum Übermenschen aufzubauen, könnte ihr nun zum Verhängnis werden. Denn ohne Jordan und seinen Nimbus, fürchtet die NBA, wäre auch sie plötzlich nur noch ein durchschnittliches Produkt. Schon diese Saison gingen die Zuschauerzahlen zurück, und obwohl sie ihre ganze Medienmacht einsetzte, ist es der Liga nicht gelungen, einen der jungen Spieler wie Kobe Bryant, Kevin Garnett oder Tim Duncan zum Superstar neben Jordan aufzubauen. Dazu fehlt den Jungen auch ein Titel, und den werden weder Duncan mit den San Antonio Spurs noch Kevin Garnett und seine Minnesota Timbervolves in diesem Jahr gewinnen. Allein Bryant und die Los Angeles Lakers haben Außenseiterchancen. „Die Liga ist besorgt, und das sollte sie auch sein“, sagte Jackson unlängst, „wenn die berühmten Lakers in die Stadt kommen und die Hallen nicht ausverkauft sind.“

Daß Jackson die Bulls verläßt, ist sicher, allein wohin, ist noch fraglich. Verhandlungen mit anderen Klubs sind erst nach dem Ausscheiden aus den Play-offs erlaubt, weswegen es durchaus sein könnte, daß der erfolgreichste Trainer dieses Jahrzehnts ohne neuen Job dasteht. Also: Je weiter die Bulls kommen, desto wahrscheinlicher sind alle Trainerstellen bereits besetzt. Und was wird dann aus Jackson? „Vielleicht mache ich eine Bäckerei auf“, erzählte der Althippie und gläubige Deadhead, „oder einen Buchladen. Bücher habe ich immer geliebt.“

Play-off-Achtelfinale (Best of Five), Eastern Conference: New Jersey Nets – Chicago Bulls; New York Knicks – Miami Heat; Cleveland Cavaliers – Indiana Pacers; Atlanta Hawks – Charlotte Hornets; Western Conference: Houston Rockets – Utah Jazz; Minnesota Timberwolves – Seattle SuperSonics; Portland Trail Blazers – Los Angeles Lakers; Phonix Suns – San Antonio Spurs