■ Das Portrait
: Der Genosse Trend

Er ist ein undurchsichtiger Bursche, unstet, überraschend und launisch. Jahrelang blieb er, mit kleinen Unterbrechungen, der Partei treu. Dann verschwand er auf Nimmerwiedersehen. Vorerst. Jetzt ist er, nach mehr als 15 Jahren, zurückgekehrt. Und wie in den goldenen 70ern scheint es, als wolle er länger als nur auf Logierbesuch bleiben: der Genosse Trend.

Manch jüngere Sozialdemokraten, politische Gegner sowieso, mögen sich gar nicht mehr daran erinnern, daß er sich bei der EsPeDe heimisch gefühlt hat. Genosse Trend ist Ende 30, vermutlich bartlos, eher konservativ.

Waren das noch Zeiten: '69 verhalf er mit 42,7 Prozent der Partei zum Einstieg in die sozialliberale Koalition, 1972 stiegen die Sozialdemokraten mit 45,8 Prozent zur stärksten Partei auf! Zeitweise schien sich der Trend der Partei so verbunden zu fühlen, daß führende Sozialdemokraten in der alten Wunde herumstocherten und die absolute Mehrheit in Reichweite sahen. So schlimm kam es nicht.

Jetzt, 16 Jahre und vier gescheiterte Kanzlerkandidaten später, hat sich der längst verloren geglaubte Genosse wieder bei der SPD eingenistet. Trägt sie von Erfolg zu Erfolg. Nach der jüngsten Sonntagsumfrage mit 43 Prozent einsam an der Spitze, so viel gab's zuletzt 1980.

Absolute Mehrheit in Niedersachsen geschafft, absolute Mehrheit in Sachsen- Anhalt greifbar nahe, absolute Mehrheit im Bund zumindest denkbar – wenn, ja wenn die FDP rausfliegt und die PDS weniger als drei Direktmandate erreicht. So ähnlich dachte man übrigens schon 1976.

So undurchsichtig der Genosse Trend ist, so wenig weiß man über den treulosen Gesellen. Vermutlich wurde er um 1961 geboren, als die SPD zum ersten Mal mit Willy Brandt als Kanzlerkandidaten auftrat.

Gerede um ihn mag der Genosse überhaupt nicht: Dann nimmt er urplötzlich seinen Hut und verschwindet. Wie er seine Zeit verbringt, wenn er die SPD verläßt, ist in der Baracke unbekannt.

Andererseits will er gehegt und gepflegt werden. Sein politischer Standpunkt befindet sich eindeutig im rechten Parteilager: Bei seiner Aufstellung galt Brandt als SPD-Rechter, unter Helmut Schmidt fühlte sich Genosse Trend spürbar wohl, und unter Gerhard Schröder läßt er sich wieder blicken.

Übrigens hat der Genosse noch einen Bruder: den Genossen Sachzwang. Doch davon in einem halben Jahr mehr. Klaus Hillenbrand