„Marsch der Lebenden“ in Auschwitz

■ Am diesjährigen Shoa-Gedenktag wollen Eiferer für den Erhalt eines Kreuzes demonstrieren

Warschau (taz) – Alle Zufahrtswege zum ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz sind gesperrt. Israelische Sicherheitskräfte patrouillieren auf den polnischen Straßen, die Pistole deutlich sichtbar am Gürtel oder das Gewehr über dem Rücken. Journalisten, die über den diesjährigen „Marsch der Lebenden“ vom Stammlager Auschwitz bis zum eigentlichen Vernichtungslager Birkenau berichten wollen, dürfen nur einen Ort „bedienen“, wie es in der Sicherheitsanweisung heißt: entweder den Beginn des Marsches unter dem Tor mit der Aufschrift „Arbeit Macht Frei“ oder das „Ende der Zeremonie mit der Rede Benjamin Netanjahus in Birkenau“.

Seit zehn Jahren kommen zum Jom ha-Shoa, dem Shoa-Gedenktag, 5.000 bis 7.000 junge Juden aus aller Welt nach Polen, um in Auschwitz der Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nazis zu gedenken. Da dieses Mal auch der Ministerpräsident Israels an der Gedenkveranstaltung teilnimmt, ist der Polizeischutz so massiv, daß sich nicht etwa das beruhigende Gefühl der Sicherheit einstellt, sondern die Angst vor einer drohenden Gefahr.

Konstantyn Gebert, Herausgeber der polnisch-jüdischen Zeitschrift Midrasz und einer der führenden Intellektuellen Polens, hält genau das den Initiatoren des Marsches vor. Die jungen Juden aus aller Welt nähmen das Gefühl mit nach Hause, daß Polen für den Tod stehe, Israel aber für das Leben. Ein Hakenkreuz, irgendwo an eine Wand geschmiert, ein Stein, der vielleicht den Bus trifft, verfestigten den Eindruck, daß Polen ein Land der Antisemiten sei, die Diaspora in Polen aber aus ganz besonders naiven Juden bestehen müsse. Immerhin sei eine neue Broschüre erarbeitet worden, die die Polen nicht mehr als „Mittäter“ neben die Deutschen stelle, sondern sie ebenfalls als Opfer der Nazi-Okkupation bezeichne. Gebert hofft, daß die Teilnehmer des diesjährigen „Marsches der Lebenden“ nicht nur die ehemaligen KZs und die jüdischen Friedhöfe besuchen, sondern auch in die wiederaufgebauten Synagogen kommen und gemeinsam mit den polnischen Juden den Gottesdienst feiern.

Nur wenigen Juden ist bewußt, daß Auschwitz auch für die Polen Symbol des Martyriums ist, ein Friedhof für viele polnische Widerstandskämpfer. Auf jüdischen Friedhöfen aber haben religiöse Symbole keinen Platz. Anfang des Jahres wurden daher in Birkenau zahlreiche kleine Kreuze und Davidsterne entfernt, die jugendliche Besucher zum Andenken an die hier Ermordeten in den Boden gesteckt hatten. Ein acht Meter hohes Kreuz steht hinter dem Stammlager Auschwitz in der „Kiesgrube“, in der die Nazis vor allem polnische Widerstandskämpfer erschossen. Auch dieses Kreuz soll entfernt werden. Religiöse Eiferer haben nun angekündigt, parallel zum „Marsch der Lebenden“ eine Prozession zur „Verteidigung des Kreuzes“ durchführen zu wollen. Gabriele Lesser