Frankreich nimmt Abschied von den Inseln

Für das pazifische Neukaledonien beginnt der Weg in die Unabhängigkeit. In zwei Referenden sollen die Bewohner über ihre Zukunft abstimmen. Doch nicht alle wünschen den Abschied von der Kolonialmacht  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

18.000 Kilometer von Paris entfernt will Premierminister Lionel Jospin Frankreich von einer kolonialen Altlast befreien. Der Sozialist hat am 4. Mai ein Rendezvous in der neukaledonischen Hauptstadt Nouméa mit dem Chef der Kanakenorganisation (FLNKS) und dem Vertreter der örtlichen Neogaullisten (RPCR). Gemeinsam wollen sie einen Vertrag unterzeichnen, der den Übergang der Pazifikinseln in die Unabhängigkeit regelt. Wenn das von allen drei Verhandlungspartnern als „historisch“ gepriesene Projekt funktioniert, können die Kanaken in 15 bis 20 Jahren über ihre staatliche Unabhängigkeit entscheiden.

Bis dahin sieht das „Abkommen von Nouméa“, das am Dienstag abend nach zweimonatigen Verhandlungen paraphiert wurde, eine geteilte Souveränität vor: Neukaledonien verliert seinen bisherigen Status als „Überseeisches Gebiet“ und bekommt statt dessen die Anerkennung einer „kanakischen Identität“, inklusive der Gleichberechtigung seiner 28 melanesischen Sprachen mit dem Französischen und die Kontrolle über seine eigene Beschäftigungspolitik und den Außenhandel. Der bisherige Pariser Kommissar wird durch ein Zwei-Kammer-Parlament abgelöst. Die „Metropole“ (Frankreich) behält jedoch die Hoheitsrechte über Außenpolitik, Verteidigung, Justiz und Währung.

Zehn Jahre nach dem Massaker in der Grotte von Ouvéa, bei dem eigens in den Pazifik geschickte französische Elitepolizisten am 22. April 1988 25 kanakische Unabhängigkeitskämpfer erschossen, die mehrere Gendarmen als Geiseln genommen hatten, schlagen Paris und Neukaledonien damit einen neuen Weg ein. Ende der 80er Jahre hatten die Verhandlungen zwischen Paris und den beiden gegnerischen Parteien von Neukaledonien – den Unabhängigkeitsbefürwortern der FLNKS und den Unabhängigkeitsgegnern der RPCR – bereits bis zu einer Übergangsregeleung geführt, die sogar per Referendum abgesegnet war. Aber dann ermordete 1989 ein radikaler kanakischer Unabhängigkeitskämpfer den damaligen Chef der FLNKS, Jean Marie Tjibaou.

An dessen Gedenkstätte will Jospin nun seine Unterschrift unter das neue Abkommen von Nouméa setzen. Es sieht ein erstes Referendum über den „evolutiven Prozeß“ im Herbst vor. Das zweite Referendum, in dem sich die eigentliche Frage nach der Unabhängigkeit stellt, soll zwischen 2015 und 2018 stattfinden. Von den heute knapp 200.000 Bewohnern Neukaledoniens stammt nur noch knapp die Hälfte von den Kanaken ab, die die Inseln bewohnten, als sie 1853 in französische Hände fielen. Die „Caldoches“ genannten übrigen Inselbewohner sind entweder Nachfahren französischer Strafarbeiter und Kolonisten, oder sie kamen aus Frankreich sowie den umliegenden Inseln im Zuge des Nickel-Booms seit Ende der 60er Jahre.

Zwischen Kanaken, von denen viele die Unabhängigkeit wollen, und Caldoches, die eher dagegen sind, verläuft denn auch die entscheidende politische Trennlinie. Seit Dienstag sprechen jedoch sämtliche Verhandlungsbeteiligte von einem „guten Abkommen“. Der Pariser Überseeminister Jean- Jacques Queyranne nennt das künftige Neukaledonien-Statut eine „Maßanfertigung und keine Stangenware“. Der Chef der RPCR, der am liebsten ewig bei Frankreich bleiben würde, Jacques Lafleur, hofft, daß das Abkommen „lange hält, auch in den Gedanken der Neukaledonier“. Und auch der strengkatholische Chef der FLNKS, Roch Wamytan, lobt den „guten Kompromiß“.

Wenn das eigentliche Unabhängigkeitsreferendum stattfindet, werden die Kanaken nach gegenwärtigem demographischem Ermessen wieder die Mehrheit der Inselbevölkerung stellen. Doch gerade bei der kanakischen Jugend ist die Begeisterung für das Abkommen gedämpft. Viele möchten ihr unabhängiges Kanaky mit eigener Fahne, Währung, Hymne und dem anderen staatlichen Brimborium noch in diesem Jahrtausend.