Auf dem Klimagipfel in Kioto waren die EU-Staaten noch die „Musterknaben“. Jetzt wollen die meisten Länder von ihren Selbstverpflichtungen zur Reduzierung der Treibhausgase nichts mehr wissen. Eine Einigung auf ein gemeinsames Klimapaket ist nicht in Sicht Von Matthias Urbach

Öko-Vorreiter streiten um Klimaschutz

Einst auf dem Klimagipfel in Kioto stritt der „Vorreiter EU“ gegen die Ignoranz des „Bremsers“ USA. Nun streiten die EU-Länder untereinander darum, wer am wenigsten für den Klimaschutz tun darf. Inzwischen droht gar der EU- interne Lastenausgleich zum Klimaschutz vom vergangenen Jahr zu platzen. Ausgerechnet die Niederlande, die das Abkommen im vergangenen Jahr ausgehandelt hatten und als einer der Öko-Vorreiter in der Europäischen Union gelten, wollen nun plötzlich völlig neu verhandeln. Sie wollen ihren Ausstoß an Klimagasen nur noch halb so stark mindern müssen wie noch im März 1997 zugesagt. Mindestens vier weitere EU-Staaten ließen in Diplomatenkreisen durchblicken, daß sie lieber deutlich weniger fürs Klima täten. Und auch das deutsche Umweltministerium signalisierte, seine Selbstverpflichtung zum Klimaschutz nicht mehr voll in den EU–Lastenausgleich einbringen zu wollen.

Ende der Woche treffen sich die Umweltminister der EU zu inoffiziellen Verhandlungen im britischen Chester. Sie werden wahrscheinlich auch über die Klimaquoten streiten. Selbst Gastgeber Michael Meacher, der britische Umweltminister, äußerte bereits Zweifel an einer schnellen Einigung. Seit Wochen ringt er in Gesprächen mit seinen EU-Kollegen um einen Entwurf. Bis spätestens Juni, so der Zeitplan, will die EU ihr Klima-Paket endgültig festschnüren. Brüsseler Diplomaten äußerten sich kritisch, ob dies bis dahin gelingen wird.

Vor einem Jahr noch hatten sich die EU-Staaten auf eine gemeinsame Verhandlungsposition für den Klimagipfel in Kioto geeinigt. Um 15 Prozent sollte der gemeinsame Ausstoß an den drei Treibhausgasen Kohlendioxid, Methan und Lachgas bis 2010 gesenkt werden. Um geschlossen in den Klimaverhandlungen auftreten zu können, einigten sich die 15 Länder auf einen internen Lastenausgleich, der vorsah, daß Länder wie Deutschland, Österreich und Dänemark ihren Ausstoß stärker mindern, andere Länder wie Frankreich nur stabilisieren müssen und schließlich Länder wie Spanien und Portugal sogar künftig mehr Treibhausgase ausstoßen dürfen als bisher. Deren Zustimmung wurde seinerzeit durch hohe Quoten erkauft: So darf demnach Portugal seinen Ausstoß bis 2010 um 40 Prozent steigern.

Nun sind es vor allem die Niederlande und Finnland, die das Faß noch mal aufmachen wollen. Die niederländische Ministerin Margreeth De Boer erklärte jüngst, sie würde gerne nur noch halb so viel einsparen müssen wie zugesagt. Ihr Land habe nicht so viele Minderungsmöglichkeiten wie andere Staaten. Etwa, weil dort nur noch wenige Kohlekraftwerke am Netz sind und dafür überdurchschnittlich viele klimafreundlichere Gaskraftwerke. Doch dafür ist dort die Landwirtschaft, geprägt von den riesigen Treibhäusern, ein großes Klimaproblem. „Dort könnten die Niederländer eine Menge tun“, urteilt Sascha Müller-Kraenner vom Deutschen Naturschutzring. Und Finnland möchte ebenfalls mehr ausblasen, statt, wie bisher, seinen Ausstoß stabilisieren zu müssen.

Bei dem Geschachere geht es längst nicht mehr darum, welches Land wie viel leisten kann, sondern wer wie viel leisten will, klagt Lars Jeorg Jensen, Klima-Experte vom WWF-International; „da wird bloß gefeilscht“. Kommen die Umweltminister nicht bald zu einer Einigung, wäre das ein Fiasko für die EU, die sich gerne als Vorreiter im Klimaschutz sieht. „Wenn mittlerweile 10 von 15 stark emittierenden europäischen Staaten mehr ausstoßen, als das Kioto-Protokoll für den Durchschnitt der Länder erlaubt, wird die EU unglaubwürdig“, sagt Jensen enttäuscht, „die Amerikaner lachen schon über uns“. Die USA hatten in Kioto ein schärferes Protokoll, wie es die EU damals forderte, blockiert.

Inzwischen wird in Brüsseler Diplomatenkreisen berichtet, daß auch andere Länder einen Klima- Nachlaß fordern. Frankreich etwa will demnach 5 Prozent mehr auspusten, statt zu stabilisieren. Auch Belgien und Italien täten gerne weniger. Allein Großbritannien hatte bereits im vergangenen Sommer angedeutet, 10 statt 20 Prozent weniger Gase emittieren zu wollen.

Das reicht aber nicht, um die Abweichler aufzufangen, weil schon das Abkommen vom März 1997 weniger zusammenbrachte, als was die EU gefordert hatte, nämlich 15 Prozent Minderung bis 2010. So würde der alte Lastenausgleich inklusive der Erhöhung Großbritanniens gerade die 8 Prozent Minderung erfüllen, zu der sich die EU im Dezember verpflichtet hat.

Das Klima-Dumping nervt inzwischen auch Dänemark, Österreich und Deutschland. Alle drei müßten laut dem Abkommen jeweils um ein Viertel reduzieren, doch sie sehen nicht länger ein, die Hauptlasten zu tragen. Dänemark hat bereits angedeutet, weniger einbringen zu wollen. Und auch Deutschland ließ dem Umweltdienst „Enviroment Watch“ zufolge durchblicken, daß es nicht länger bereit sei, seine Selbstverpflichtung – minus 25 Prozent bis 2005 – noch voll in den Lastenausgleich einzubringen. Damit hätte sich Deutschland gleich noch vom Druck befreit, die Selbstverpflichtung einhalten zu müssen. Schließlich ist sie, anders als es die Verpflichtung innerhalb der EU wäre, nicht rechtsbindend. Eine Sprecherin des Umweltministeriums dementierte diese Meldung, stellte aber klar, Deutschland werde nicht mehr einbringen als bisher.

Das Geschachere innerhalb der EU blockiert derzeit alle weiteren strategischen Überlegungen zum Klimaschutz. „Es geht nur noch um den Lastenausgleich“, klagt ein Insider. Derweil versäumt die EU, sich auf die anderen Verhandlungspunkte für den nächsten Klimagipfel dieses Jahr in Buenos Aires vorzubereiten. Da geht es darum, viele Schlupflöcher zu schließen. Umweltschützer fürchten, daß die EU durch schlechte Vorbereitung dort ihren Einfluß verspielt. Ihre Glaubwürdigkeit wäre, hält das Gezerre um die Quoten an, sowieso bald dahin.

Kommentar Seite 12