Widerstand in Duma bröckelt

Heute findet die letzte Abstimmung über den neuen russischen Ministerpräsidenten statt. Scheitert sie, gibt es Neuwahlen. Ein Deal zeichnet sich ab  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

„Wie wird der morgige Tag – bedeckt oder heiter?“ wollte Präsident Boris Jelzin von den Vorsitzenden der beiden Duma-Kammern wissen, die zu einem letzten Termin vor der Wahl des russischen Ministerpräsidenten in den Kreml geeilt waren. Bestätigt das Parlament auch im heutigen dritten Wahlgang Jelzins Kandidaten Sergej Kirijenko nicht, stehen Rußland die Auflösung der Duma und Neuwahlen ins Haus. Jelzin blieb indes auch gestern unbeugsam. Die rein symbolischen Kompromißvorschläge der Duma-Vorsitzenden, Jelzin möge seinen Kandidaten persönlich im Parlament vorstellen und Kirijenko bitten, die Zusammensetzung des neuen Kabinetts bekanntzugeben, griff der Kremlchef nicht auf.

Voraussichtlich wird der 36jährige Banker dennoch die erforderlichen 226 Stimmen der 450 Duma- Abgeordneten erhalten. Nach wie vor sind die Kommunisten und die liberalreformerische Fraktion Jabloko fest entschlossen, gegen den Kandidaten zu stimmen. Unterdessen zeichnet sich zwischen Kommunisten und ihnen nahestehenden Gruppierungen ein Handel ab. Die Fraktionen der „Agrarier“ und „Volksmacht“, die nur durch Leihstimmen der KP einen Fraktionsstatus erhielten, können frei nach ihrem Gewissen entscheiden. Das wären immerhin 66 zusätzliche Stimmen, die ausreichen, um Kirijenko zu bestätigen. Vor allem erlaubt der Kuhhandel den Kommunisten, sich vor ihren enttäuschten Wählern als glaubwürdige Opposition zu präsentieren und gleichzeitig den Status quo zu sichern.

Obwohl Boris Jelzin nicht auf die Kompromißwünsche der Parlamentarier einging, rief er dennoch den Generalsekretär der KP, Gennadij Sjuganow an. Zuvor hatte das Präsidialamt an alle Abgeordneten einen vom Präsidenten persönlich unterzeichneten Brief mit der Bitte versandt, diesmal nicht an das Schicksal ihrer Partei, sondern an das des Landes zu denken. Der Druck auf die Gesetzgeber hält seit Tagen an. Bereits vorgestern ging ihnen ein Schreiben des Organisationskomitees der Duma zu: Es erinnert daran, daß die Volksvertreter – sollte die Duma aufgelöst werden – im Laufe eines Monats ihre Moskauer Wohnung und Büros zu räumen sowie Arbeitsmittel und Büroeinrichtungen zurückzugeben hätten. Die besonders geschätzte kostenlose medizinische Versorgung würde mit dem Ende ihres Mandats ebenfalls unverzüglich erlöschen. Eine einmalige Abfindung oder Überbrückungshilfe sei zudem vom Gesetz nicht vorgesehen. Derweil genössen sie das Privileg, zehn Tonnen Umzugsgut auf Staatskosten an ihren alten Wohnort zu transferieren.