Schönes Erschrecken

■ Ein Jubiläum, das nicht gefeiert wird: Vor 25 Jahren beschloß die Bürgerschaft, eine Haushaltsstelle „Kunst im öffenlichen Raum“einzurichten / Ein kleiner Rückblick

Kunst, wo man geht und steht. Von Gröpelingen bis Hemelingen und von der Neustadt bis hoch zur Universität – kein Platz, aus der Bremens Kunstschaffende ihren Mitbürgern nicht ihr „Ik bün al dor“zurufen. Manchmal mit erhobenem Zeigefinger, oft hinterrücks, vertraulich, liebenswert. Per Kirkebys Wachturm an der Domsheide – welcher Neu-Bremer hat nicht schon seine Runden drumherum gedreht, fluchend auf der vergeblichen Suche nach ein bißchen Öffentlichkeit im Wirrwarr der Busse und Trams. Holger Voigts „Zigarrenmacher“am Buntentorsteinweg, geduldige Genossen an der Bushaltestelle, die noch keine Wartenden je allein ließen. Marianne Kleins Säulenheilige an der St.-Gotthard-Straße, seit sechs Jahren träumen sie sich in Ebbe und Flut des fließenden Verkehrs, und wenn es regnet, tränen ihre winpernlosen Augen. Und die beiden Alten am Rembertiring, natürlich, Peter K.F. Krügers erstes Bremer Trompe l'oeil: Als sie Mitte der Siebziger erstmals durch ihre dicken Brillengläser auf den Kreisel herunterblinzelten, da sollten es Abschiedsblicke sein – ein hoffnungsloses letztes Stück Privatheit, bevor man quer durchs Viertel eine Autoschneise runter zur Weser schlagen wollte. Nun lehnen sie noch immer im Fenster und der Schilderwald vor ihren Augen weist die Fußballfans auf dem Weg zum Weserstadion mit entschiedener Geste ins Abseits.

25 Jahre alt wird Bremens „Kunst im öffentlichen Raum“in diesem Jahr. Am 9. Mai 1973 beschloß die Bremische Bürgerschaft: „Für die künstlerische Gestaltung öffentlicher Räume sind 1.5 Prozent der Kosten von Baumaßnahmen des Landes zu verwenden. Es ist eine besondere Haushaltsstelle 'Kunst im öffentlichen Raum' einzurichten“. So geschah es. Ein Jubiläum, gefeiert aber wird nicht. Es ist still geworden um Bremens öffentliche Kunst. Als sie 1973 aus dem Klammergriff des Bausenators befreit wurde, galt das als ein Stück Emanzipation – mit Vorbildfunktion für ganz Deutschland. Verwalten sollten die anderthalb Prozent, die im Finanzplan beim Bau öffentlicher Gebäude fürs Zweckfreie abgezwackt werden, nun die Kulturbehörde. Das Bremer „Pool“-Modell war geboren – statt unzähligen Einzelentscheidungen tumber Architekten oblag die Verteilung der Gelder – rund 1,15 Millionen Mark im Jahr – nun Jurys in ausgeklügelter Zusamensetzung. Ein Modell, das eine vergleichbare Kontinuität in keiner anderen Stadt der Bundesrepublik aufweist und sich heute, so Hans-Joachim Manske, der seit 24 Jahren das Referat „Kunst im öffentlichen Raum“leitet, „vor allem in Stadtstaaten durchgesetzt hat“. Keine zwei Jahre später zog Hamburg nach und schuf einen festen Geldtopf für seine Straßenkunst.

In Bremen hingegen wurde der Topf 1981 wieder abgeschafft. Seitdem wird jährlich neu in einem verzwickten Prozeß zwischen dem Landesbeirat für „Kunst im öffentlichen Raum“und der „Stiftung Wohnliche Stadt“ausgehandelt, wieviel Geld Bremen sich seine Kunst kosten lassen will. Das waren dann in den Achtziger Jahren nur noch rund eine halbe Million Mark. Der Plan sei, so hieß es 1993 zur Zwanzig-Jahr-Feier, wieder auf eine knappe Million zu kommen. Aber nicht nur der Umbau der Museen schluckte zuletzt so manche Extra-Mark und so sank der Betrag 1997 auf unter 200.000 Mark.

So wird inzwischen sogar wieder über „Kunst am Bau“nachgedacht, über die Erneuerung der einst gekappten Beziehungen zum Bausenat und den Architekten. Nicht allein aus finanziellen Gründen, betont Hans-Joachim Manske. In den 25 Jahren seien nicht nur die Architekten offener für künstlerische Perspektiven geworden – auch die Kunst habe so manche Lernprozesse durchgemacht. Und sich so manche Kritik aus den eigenen Reihen anhören müssen. Als „ästhetische Umweltverschmutzer“beschimpfte Josef Beuys seine Kollegen, die die Städte mit ihren Plastiken und Wandgemälden zukleisterten – das Wort des Kunstkritikers Jean Christoph Ammann von der „Drop-culture“machte die Runde. Längst hat man sich verstärkt den versteckten und temporären Künsten zugewandt, ist vom sich aufdrängenden Pädagogischen an den Bunkerwänden zur Kunstphilosophie des Erhabenen umgeschwenkt: zu Kunst-Momenten, die weniger großräumig, denn als Zeitsprünge wirken, wie Norbert Radermachers „Lybelle“im Geländer an der Vegesacker Uferpromenade. Momente des schönen Erschreckens, wenn das Gleichmaß des Ufergeländers aufbricht und für ein paar Zentimeter in der Lybelle einer leicht verrückten Wasserwaage aus dem Gleichgewicht fällt. Oder das Projekt Christian Boltanskis, dem der Landesbeirat für „Kunst im öffentlichen Raum“nicht zuletzt wegen seiner Abkehr vom „möblierten Raum“1996 den derzeit letzten Roland-Preis verlieh: Eine „Arbeitslosenzeitung“, die eines schönen Tages in diesem Jahr Bremens Zeitungen beiliegen wird – um danach für immer in den Archiven zu verschwinden. ritz