Wand und Boden
: In der weißen Trinkhalle

■ Kunst in Berlin jetzt: Fritz Balthaus, Dörte Meyer

Die Bilder, Fotos, Drucke, Zeichnungen, stecken in ihrem gläsernen Wechselrahmen und sehen gut oder auch nicht so gut aus, in jedem Fall aber: Wer käme schon auf die Idee, ihre Rückseite sei die interessantere Ansicht? Es ist gar nicht so einfach, die Dinge anders zu sehen, umzudrehen. Dazu gilt es, sie erst einmal sehr genau zu studieren. Erst dann läßt sich ihre Wahrnehmung um den entscheidenden Dreh verrücken. Fritz Balthaus ist derjenige, der diese Kunst beherrscht. In der museumsakademie berlin staunt man nun angesichts seiner neuesten Holzschnitte, wie variantenreich die Konstruktion dieser industriellen Wechselrahmen ist. Was eben nur auf der Rückseite ersichtlich ist. Rund vierzig davon hat Balthaus aufgetrieben und gedruckt.

„Speditionen & Multiples“ heißt die Ausstellung, die auch retrospektiven Charakter hat, weshalb sich gut nachvollziehen läßt, wie hartnäckig der Künstler die Bildwahrnehmung, die Präsentation und das Handling der Bilder untersucht. So vermaß er vor zwei Jahren im Mies-van-der-Rohe- Haus die Bilder seines Ausstellungsvorgängers. Dann ließ er sich Alu-Wechselrahmen in den gleichen Formaten bauen und überzog das Glas der leeren Rahmen mit blauem Transportsicherungsband. Es spannte sich in konstruktiven Mustern über die Rahmen und markierte das ästhetische Feld, ohne in der üblichen Weise überhaupt mit dem Bildträger, der Leinwand, in Kontakt zu kommen.

Als ideale Bauform für Fritz Balthaus' Überlegungen erwies sich schließlich das einzige Bauwerk, das Mies van der Rohe in Dessau zurückließ. Die kleine Trinkhalle, die Mies in der Schutzmauer der Gropiusschen Meisterhäuser einsetzte, ist die ideale, multiplizierbare Form der Weißen Schachtel, in der die moderne Kunst zur Ausstellung kommt. Unglücklicherweise wurde die Trinkhalle zu DDR- Zeiten abgerissen.

Nun will Balthaus sie in leichter transportabler Holzbauweise wieder herstellen. Als Getränkehersteller mit Bedarf an gesponsortem Imagetransfer, würde ich zwanzig dieser Pavillons für zwanzig Großstädte finanzieren. In der Trinkhalle gäbe es Kunst und auf der Gropiusschen Wand stünde: Sind wir nicht alle ein bißchen Bluna?

Bis 6.6., Di-Sa 14-19 Uhr, Rosenthaler Straße 39

In den neuen Räumen der Galerie A. von Scholz in der Alten Schönhauser Straße hat die junge Berliner Künstlerin Dörte Meyer ihre erste Einzelausstellung. Dafür verarbeitete sie Gegenstände, „Relikte“, die sie an den Stränden Marina di Ravenna, Lido di Dante oder Rimini fand, zu einer raumgreifenden Installation. Die Ordnung der Dinge präsentiert Meyer im ersten Raum mit Hilfe einer Leuchtwand, auf die die Abbilder der Fundstücke gruppiert sind; auf einen Blick erfaßbar, als eine Art schwarzweißes Röntgenbild, das aber gleichzeitig wie zartes, zauberhaftes Aquarell aussieht.

Im zweiten Raum sind die Relikte auf einem umlaufenden Bord chronologisch nebeneinander gestellt. Eine braune Badesandale, die mit winzigen Muscheln bewachsen ist; ein roter Plastikelefant, der ebenfalls mit kleinen, austernartigen Muscheln bewachsen ist; dazu gesellen sich ein Puppenarm, eine Sonnenbrille, ein gelbes Rennauto, ein gelber Legostein, der Rest einer Bierdose und ähnliches mehr. Über dem Bord zieht sich ein Farbfotofries die Wände entlang. Auf den Bildern sind die Fundstücke an ihrem Fundort zu sehen.

Dazwischen allerdings gibt es Fotos, in denen Meyers Blick ins Detail vordrang. Sie wurden durch ein Mikroskop gemacht, und zeigen die Oberfläche dort, wo die Natur, also die Muscheln, an die Kunst, das Plastik, anbaute. Anders als die Bilder der vielen verlorenen Puppenarme und -beine, die die tragische Komik des üblichen, kindlich-sadistischen Zugriffs bezeugen, liegt die Wucht der 90- bis 360-fachen Vergrößerungen in der Sicht auf völlig unpersönliche Wucherungen.

Bis 30.5., Di-Sa 14-19 Uhr, Alte Schönhauser Straße 13 Brigitte Werneburg