Die Perspektiven der Hellen Mitte

Statt Einkaufszentren wie in anderen Bezirken entsteht in Hellersdorf eine neue Stadtmitte. Die Hellersdorfer sind zufrieden. Die bisherigen Einzelhändler dagegen nicht  ■ Von Uwe Rada

Verglichen mit dem Alice-Salomon-Platz, einer „Piazza“, die der Plaza Mayor im spanischen Salamanca nachempfunden sein soll, ist der benachbarte Fritz-Lang- Platz ein eher unscheinbarer Ort. Versteckt im neu errichteten Straßengeviert zwischen Janusz-Korczak-Straße und Kokoschkastraße atmet der zweite von drei Plätzen im neuen Stadtzentrum von Hellersdorf aber keineswegs den Hauch expressionistischer Metropolis-Visionen. Vielmehr erinnert der Fritz-Lang-Platz an eine Shopping Mall, die zu überdachen der Architekt vergessen hatte. Ein Stadtzentrum als städtebaulicher Irrtum?

Ein Irrtum ist die Helle Mitte, wie der Investor Mega das 2,2-Milliarden-Projekt Stadtzentrum Hellersdorf getauft hat, nur für diejenigen, die in Deutschlands zweitgrößter Großsiedlung nach der urbanen Dichte und Vielfalt der Innenstadt suchen. Für die Mehrzahl der 100.000 Hellersdorfer hat das neue Stadtzentrum als wohltuende Abwechslung zu den umliegenden Einkaufszentren Eiche und Spreecenter tatsächlich städtische Qualitäten. Es scheint, als ob sich am Rand der Stadt so manche Perspektive verschieben, so mancher Vergleich hinken würde.

Erna B. hat eine neue Perspektive dazugewonnen. „Nun kann man hier einkaufen“, sagt sie. „Früher mußte man zum Einkaufen immer in die Stadt.“ Ein nicht nur zeitraubendes, sondern auch überaus teures Unterfangen, wie Erna B. meint. „Wer kann sich heute denn schon eine Hin- und Rückfahrt mit der BVG leisten? Gerade als Rentnerin?“

Stadtmitte in der Stadtlandschaft der Plattensiedlung: 22 Blöcke sollen an Berlins zweitgrößter Baustelle auf einer 31 Hektar großen Fläche einmal entstehen, ein Drittel davon ist, vor allem westlich der „Piazza“, bereits fertiggestellt. Insgesamt 80 Geschäfte und ein Multiplexkino haben eröffnet, 200 von insgesamt 1.000 Wohnungen wurden errichtet.

Doch nicht nur Geschäfte und Wohnungen sollen das Hellersdorfer Zentrum nördlich des Hellersdorfer Grabens, eines Grünzugs, durch den sich auch die U-Bahn schlängelt, säumen. Auch das bislang über mehrere Standorte, darunter auch Plattenbauwohnungen, verteilte Bezirksamt zieht an den Fritz-Lang-Platz. Zwar wurde die in der Zwischenzeit auf sechs Stockwerke abgespeckte Hochhausplanung aus der Investitionsplanung des Senats gestrichen. Doch der Investor Mega, mit dem Bauunternehmer Dietmar Otremba an der Spitze des Aufsichtsrats, hatte sich schnell bereit erklärt, das Gebäude auf eigene Kosten zu errichten und an das Bezirksamt zu vermieten. Zu guter Letzt kommt mit der Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik eine Nutzung an die „Piazza“, von der sich viele eine Belebung der Hellersdorfer Mitte erwarten.

Für andere dagegen ist die Perspektive des Zentrums eine Bedrohung. „Die Geschäfte stehen leer, es gibt keine Laufkundschaft, alle ziehen in die Helle Mitte, schimpft die Inhaberin eines Spielwarengeschäftes in der Tangermünder Straße. Hier, in der sogenannten City-Meile, fand 1993 der erste Versuch statt, das Hellersdorfer Zentrum zu beleben. Mit Erfolg. Zahlreiche kleine Läden und Restaurants säumen die Straße, deren teilweise zurückgesetzte Plattenbebauung eine für Großsiedlungen überraschende Aufenthaltsqualität bietet. Doch dieser Erfolg ist nun in Gefahr. Um überhaupt überleben zu können, hat die Inhaberin des Spielzeugladens nun auch in der Hellen Mitte ein Geschäft eröffnet. „Damit nicht ein anderer in der Branche einzieht“, wie sie sagt. Worüber sie allerdings nicht redet, ist, wie Mehrarbeit und Mehrkosten mit demselben Personal bewältigt werden sollen. „Die City-Meile blutet“, sagt sie. Doch aufgeben will sie nicht. „Es gibt viele Leute, denen eine individuelle Beratung wichtiger ist als in irgend welchen Großfilialen zu kaufen.“

Tante-Emma-Läden versus Einkaufszentren. Zumindest in diesem Konflikt ist die Hellersdorfer Mitte eine ganz normale Stadt geworden.