Als aus Sklaven Citoyens wurden

■ Frankreich begeht den 150. Jahrestag der Abschaffung der Sklaverei. Weil es aber peinlich ist, über Sklaverei zu reden, feiert man lieber sich selbst und schweigt über das Geschäftliche

Kein großes Museum in Frankreich hat seine Tore für eine Ausstellung über die Sklaverei geöffnet. Das Thema findet in den Festsälen von einigen Rathäusern, in Provinzmuseen und in Politikerreden statt. Dabei ist Jahrestag. Am 27.April 1848 veröffentlichte die Übergangsregierung in Paris ein Dekret, das die „Sklaverei in allen Kolonien binnen zwei Monaten“ abschaffte. 248.560 Sklaven in Guadeloupe, Martinique, Réunion und Guyana wurden auf dem Papier zu Citoyens der Republik.

Es war die zweite Abschaffung der Sklaverei in Frankreich. Die endgültige. Die erste ging auf einen „Negeraufstand“ in Saint-Domingue (heute: Haiti) im Jahr 1791 zurück, wo die Plantagenarbeiter in Ketten die Revolution im fernen Paris ernst genommen und auch für sich Liberté, Egalité und Fraternité in Anspruch genommen hatten. Am 4. Februar 1794 war ihr Druck groß genug. Robespierre und die Konvention in Paris standen vor der Wahl, entweder ihre Zuckerinseln in der Karibik zu verlieren oder die Sklaverei abzuschaffen. Sie entschieden sich für letzteres, doch die Befreiung war kurzlebig. Napoléon machte sie acht Jahre später rückgängig. Den Sklavenführer von Saint-Domingue, Toussaint L'Ouverture, den Historiker heute den „schwarzen Napoléon“ nennen, ließ der weiße Napoléon in Ketten nach Frankreich bringen, wo der Gefangene im Jahr 1803 im Kerker des Fort- de-Joux an Kälte und Erschöpfung starb, wie es in französischen Geschichtsbüchern heißt.

Statt jenes Aufstandes der Sklaven feiern die Erben des kolonialen Frankreich heute sich selbst. Sie erinnern an den reichen elsässischen Philanthropen und Überseereisenden Victor Schoelcher. Der hat vor 150 Jahren den Kolonialminister der Übergangsregierung davon überzeugt, daß die Sklaverei abgeschafft werden müsse. Schoelcher ist eine Ausstellung in der Pariser Vorstadt Houilles gewidmet, wo er lange gelebt hat. Außerdem stehen 60 Ostfranzosen aus dem winzigen Dorf Champagney ganz oben auf der Liste der Geehrten. Obwohl niemand von ihnen je einen Sklaven gesehen hatte, richteten jene Bauern und Glasbläser schon kurz vor der Französischen Revolution im Frühjahr 1789 eine Petition an den König, in der sie um die Abschaffung der Sklaverei baten. Daran erinnert Premierminister Lionel Jospin heute mit einem Besuch in Champagney.

In Paris veranstaltet das Rathaus des V. Arrondissement eine folkloristische Ausstellung mit dem großen Titel „Abschaffung der Sklaverei“, in der Rekonstruktionen von Sklavenhütten und Herrenhäusern sowie schwarze Kleiderpuppen mit aufwendigen bunten „Mulatinnenkleidern“ zu sehen sind. Ein paar Tafeln berichten über die Sklaverei im alten Rom. Daneben sind Gemälde der Gegenwart ausgestellt, deren Bezug zur Sklaverei vermutlich darin besteht, daß die Künstler schwarz sind. Informationen über das System der Sklaverei und über den Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika und den amerikanischen Kolonien, bei dem Franzosen, Engländer und Holländer vier Jahrhunderte lang mindestens 12 Millionen Menschen in Ketten über den Atlantik transportierten, liefert die Pariser Ausstellung dagegen nicht.

„Das ist ein peinliches Thema, auch heute noch“, heißt es in La Rochelle, dem zweitgrößten von fünf französischen „Negerhäfen“ mit königlicher Lizenz. Die Namen der rund 500 französischen Familien, die mit dem Geschäft reich wurden, sind tabu. Dabei wäre es leicht herauszufinden, vor welchen Residenzen bis vor 150 Jahren die steinernen Negerstatuen standen, die das Dreiecksgeschäft signalisierten. Auch bei den Ausstellungen der beiden Hafenstädte La Rochelle und Nantes stehen die Geschäfte diskret im Hintergrund. Bordeaux hat vorsichtshalber darauf verzichtet, mit dem peinlichen Thema in ein Museum zu gehen.

Schwer mit der Geschichte der Sklaverei tun sich auch die Nachfahren der Opfer in Frankreichs Überseegebieten. In Martinique zum Beispiel, wo die Beke, die Nachfahren der weißen Siedler, bis heute Besitzer der größten Bananenplantagen sind und es in den vergangenen 150 Jahren keine Landreform gegeben hat, finden in diesem Jahr Kolloquien zum Thema: „Erinnern wir uns an unsere Geschichte“ statt. In Guyana organisieren kreolische Schriftsteller im Mai eine Buchmesse. Erinnerungen an jene Sklaven, die für ihre Befreiung kämpften, stehen nicht auf dem Programm. Abgesehen von der Mittelmeerstadt Marseille. Die organisiert eine Austellung über die Noirs-Marrons, jene Sklaven, die im 17. und 18. Jahrhundert ihren weißen „Herren“ entflohen und sich im Amazonas- Urwald niederließen. Dorothea Hahn