Nigeria vor dem „Übergang ins Chaos“

Heute wird in Nigeria ein Parlament gewählt, aber Militärdiktator Abacha hat alle legalen Parteien auf Linie gebracht. Nun mehren sich Vergleiche mit Mobutus Zaire und Warnungen vor dem „Kollaps“ des Landes  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – „Nigerias Politiker haben von sich aus eine Einparteienstruktur gebilligt. Es ist unglaublich, so als ob die ganze Nation unter dem Bann eines Zauberspruchs stünde.“ Die Diagnose des Politologen Kunle Adejumobi über die gegenwärtige Lage in Nigeria ist eine der gemäßigteren Varianten der Orientierungslosigkeit, die Nigeria vor den heutigen Parlamentswahlen ergriffen hat.

In einem normalen Land würden Wahlen zu zwei Kammern einer Legislative einen Höhepunkt der Demokratisierung darstellen. Der offiziellen Sicht zufolge ist das auch in Nigeria der Fall: Nachdem Staatschef General Sani Abacha bei seinem Putsch im November 1993 alle demokratischen Institutionen des Landes abschaffte, werden sie jetzt nacheinander wiedereingeführt. Im Oktober 1996 wurden fünf Parteien zugelassen, im Dezember 1997 fanden Wahlen zu den Parlamenten der 36 Bundesstaaten statt. Heute kommen die Wahlen zum Bundesparlament, am 1. August bestimmen die 107 Millionen Nigerianer 36 Provinzgouverneure und einen Staatschef. Aber nichts davon ist so, wie man es sich vorstellt.

Die fünf legalen Parteien sind nur blasse Karikaturen der historischen politischen Formationen Nigerias und werden alle von regimetreuen Politikern geführt. Die 36 Landtage sind seit ihrer Wahl im Dezember noch nie zusammengetreten. Die Wahl eines Präsidenten im August ist gegenstandslos, seitdem die fünf Parteien am vergangenen Wochenende unter massivem Druck des Militärregimes alle Abacha als einzigen Kandidaten aufstellten – kurz vor der Parlamentswahl, bei der sie gegeneinander antreten. Damit ist in Nigerias Mehrparteiensystem die Möglichkeit, gegen Abacha zu sein, von vornherein ausgeschlossen.

So ist die heutige Wahl nach Ansicht vieler Beobachter nichts als ein Theaterspiel. Daß ähnlich wie im Dezember die größte der fünf Parteien, „United Nigeria Congress Party“ (UNCP), die Mehrheit erringen wird, gilt als sicher und zugleich als völlig egal. „Es ist jetzt klar, daß wir keinen Übergang zur Demokratie haben werden, sondern einen Übergang ins Chaos“, sagte vor wenigen Tagen der Menschenrechtsanwalt Gani Fawehinmi. „Es ist eine lächerliche Situation, eine Wiederholung des Weges von Mobutu, der in Nigeria nicht funktionieren kann.“

Die „United Action for Democracy“ (UAD), ein Dachverband demokratischer Oppositionsbewegungen, ruft die Bevölkerung zum Wahlboykott auf: „Wählen zu gehen würde nur Abacha dabei helfen, sich der Nation aufzuzwingen.“ Die beiden berühmtesten Regimegegner, der Schriftsteller Wole Soyinka und der Altpolitiker Anthony Enahoro, haben in einer gemeinsamen Erklärung verkündet: „Wir behalten uns das Recht vor, auf diesen jüngsten Akt der Hartnäckigkeit in angemessener Form zu reagieren, und wir versichern der Welt, daß wir keinen Stein auf dem anderen lassen werden, um unser Land vor einer Clique von Kleptokraten und uniformierten Barbaren zu retten.“

Solche Dinge sagen Soyinka und Enahoro seit Jahren, aber die Unterwerfung der fünf Parteien unter Abacha könnte jetzt die Reihen der Opposition stärken. Die unterlegenen Präsidentschaftskandidaten der „Grassroots Democratic Movement“ (GDM) – die einzige der fünf Parteien, die sich traute, eine Abstimmung über Abachas Kandidatur durchzuführen – rufen jetzt zum Widerstand auf. Und immer mehr Politiker wenden sich mit regionalistischen Argumenten gegen das Regime, das sie als Interessenvertretung der steinreichen muslimischen Geschäftselite aus dem Norden sehen.

Die traditionell unter dem Yoruba-Volk im Südwesten Nigerias um Lagos verankerte Demokratiebewegung „Nadeco“ warnt, Abachas Verbleib an der Staatsspitze „kann nur zum Zerfall“ Nigerias führen. Im Osten des Landes, wo Führer des Igbo-Volkes schon vor 30 Jahren einen eigenen Staat „Biafra“ ausriefen, hat sich unter Leitung eines UNCP-Politikers eine „Eastern Mandate Union“ (EMU) zusammengetan. Man müsse verhindern, „daß der nächste Präsident aus dem Norden kommt“, erklärte EMU-Führer Chief Onyedumekwu in einem Interview.

„Ich habe Angst angesichts dieser Entwicklungen“, sagte jetzt in Reaktion auf die Stellungnahmen der vergangenen Tage der führende katholische Geistliche George Ehusani. „Sie sind Anzeichen für die Gefahr des bevorstehenden Kollapses Nigerias als Nation.“ Zunächst gilt für die heutigen Wahlen höchste Alarmstufe. Nachdem bei einem Bombenanschlag in Lagos am Donnerstag vier Menschen ums Leben kamen, hat die Regierung 18.000 Sicherheitskräfte mobilisiert.