Mit voller Power ganz weich landen

Grüne setzen vor der Wahl in Sachsen-Anhalt auf Geschlossenheit. Doch nach einer Niederlage könnten Messer gewetzt werden. Dem Parteisprecher droht Gefahr beim Aufstellen der Landesliste in Niedersachsen  ■ Von Jürgen Gottschlich

Die Jüngsten sind die Zuversichtlichsten. Matthias Berninger, Student und mit 27 Jahren der Benjamin der bündnisgrünen Fraktion in Sachsen-Anhalt, will sich auch von der Vorstellung einer möglichen Niederlage bei der Landtagswahl am Sonntag nicht verrückt machen lassen. Was wäre für ihn eine Niederlage? „Selbst wenn die Bündnisgrünen aus dem Landtag fliegen, ist das nicht automatisch eine Niederlage. Angesichts der riesigen Probleme in den neuen Ländern ist alles über vier Prozent o.k.“ Die Überraschung, sagt er nüchtern, wäre, „wenn wir reinkommen. Für die Bundestagswahl also keine Gefahr.“

Anders als beim Magdeburger Parteitag, wo die Grünen vom Echo danach förmlich überrollt wurden, ist die Partei jetzt für den Fall einer Niederlage psychologisch gewappnet. Was also wäre eine Niederlage? „Na ja“, Berninger will nicht defätistisch wirken, „unter vier Prozent oder weniger als die FDP wäre natürlich schon ein Hammer.“ Reinhard Weißhuhn, als Fraktionsmitarbeiter von Bündnis 90 seit Jahren auch in Bonn, ist als Grüner aus Ostberlin sowieso auf einem anderen Dampfer. „Drei Prozent wäre ein Erfolg. Seit der Vereinigung haben die wenigen Bürgerrechtler doch eine Kulisse aufrechterhalten, die der Realität schon lange nicht mehr entspricht. Das ist nun alles vorbei. Die Grünen müssen im Osten ganz von vorn anfangen.“

Parteisprecher Jürgen Trittin hat längst die Parole ausgegeben „Ruhe bewahren“. Für die Grünen sei es wichtig, sich nicht auseinanderdividieren zu lassen und geschlossen eine brauchbare Kurzfassung des Wahlprogramms für den Länderrat im Juni vorzubereiten. Das soll in der Wahlnacht anfangen. „Keine Dissonanzen, gemeinsame Sprachregelungen.“ Damit nichts anbrennt, wird der grüne Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Joschka Fischer, am Wahlabend in Magdeburg sein.

Rezzo Schlauch, der heimliche grüne Oberbürgermeister von Stuttgart, ist skeptisch, ob das mit der Ruhe nach dem Sturm klappt: „Wenn Sachsen-Anhalt wirklich zu einem Desaster wird, weiß ich nicht, ob die Parteiführung den Schrei nach einem Sonderparteitag noch unterdrücken kann.“ Schlauch will nicht mißverstanden werden. Er ist nicht für einen Sonderparteitag. Auch befürchtet er, daß damit nur die Unsicherheit der Partei öffentlich demonstriert wird. „Es wäre verrückt, den Benzinpreis jetzt zurücknehmen zu wollen.“ Im Gegenteil, für Rezzo Schlauch zeigt die Provokation mit der Benzinsteuer langsam positive Wirkung. „Meine Veranstaltungen sind rappelvoll, die Leute sind interessiert, und sie lassen sich überzeugen.“

Auch die Telefon-Hotline der Fraktion am letzten Mittwoch stand keine Sekunde still. Fast 2.500 AnruferInnen wurden abgefertigt, viele kamen nicht durch. „Ohne den Benzinpreis würden wir im Showdown zwischen Schröder und Kohl doch untergehen.“ Allerdings muß die Partei ihren Beschluß auch offensiv und geschlossen vertreten. Andrea Fischer, die Sozialpolitikerin der Fraktion, ist wütend, daß jetzt einige Leute glauben, sich auf Kosten der Partei profilieren zu können, indem sie den Benzinpreis runterrechnen. „Das ist das letzte, was wir jetzt gebrauchen können.“

Auch Ludger Volmer, einer der Sprecher der Parteilinken, hat Angst, daß die Basis der Partei- und Fraktionsführung aus dem Ruder laufen könnte. Der langgehegte Burgfrieden zwischen Linken und Realos droht von unten aufgekündigt zu werden. „Das“, sagt Volmer, „war schon in Magdeburg das Problem.“ Da hat die linke Basis den Bosnien-Kompromiß nicht nachvollzogen, jetzt droht die Realobasis mit Konsequenzen nach Sachsen-Anhalt.

Selbst wenn es zu keinem Sonderparteitag kommt, gibt es kurz nach den Wahlen noch eine gute Gelegenheit für innerparteiliche Machtdemonstrationen. In der zweiten Maiwoche wird die niedersächsische Landesliste für den Bundestag gewählt. Jürgen Trittin, als Parteisprecher das linke Gegengewicht zu Joschka Fischer, kandidiert auf Platz zwei, die ersten vier Plätze gelten als sicher. Doch man hat Parteisprecher Trittin schon signalisiert, daß es ernste Probleme bei seiner Kandidatur geben könnte. Das hat schon jetzt Folgen. Jürgen Trittin, der eigentlich voll auf den Wahlkampf konzentriert sein müßte, der, zusammen mit Fischer, darüber nachdenken sollte, wie die Partei aus dem Stimmungstief herauskommt, Jürgen Trittin ist nervös. „Wer weiß schon, wie die Basis entscheidet“, sagt er im Gespräch leichthin, aber seine Freunde haben jetzt schon Schiß, daß er nach dem Vorsprechen an der Basis „schwer beleidigt“ sein könnte.

Es kann sogar noch schlimmer kommen. Einer der Gegenkandidaten von Trittin ist Helmut Lippelt, der in der Bosnien-Debatte die genaue Gegenposition des Parteisprechers vertritt und der Abstimmung deshalb auch eine Signalfunktion weit über die konkreten Personen hinaus beimißt.

Sollte Jürgen Trittin also in Niedersachsen gar von Platz zwei auf Platz vier verwiesen werden, wären die Konsequenzen plötzlich da. „Dann würde ich an seiner Stelle die Brocken hinschmeißen“, sagt Ludger Volmer. Das ist auch eine Perspektive, vier Monate vor den Wahlen plötzlich mit halbierter Parteiführung dazustehen.