Die Duma kuscht vor Jelzin

■ Im dritten Wahlgang wählt das russische Parlament Sergej Kirijenko, den Kandidaten des Präsidenten, zum Regierungschef. Den Abgeordneten ist der Erhalt ihrer Mandate wichtiger als Radikalopposition zu Jelzin und Auflösung des Parlaments

Moskau (taz) – Im dritten und letzten Wahlgang bestätigte Rußlands Parlament Sergej Kirijenko als Premierminister im Amt. Einen Monat lang hatte das Tauziehen zwischen Präsident Jelzin und der kommunistischen Opposition in der Staatsduma um die Nachfolge des im März geschaßten Ministerpräsidenten Wiktor Tschernomyrdin gedauert. 251 der 450 Abgeordneten stimmten für den 35jährigen Premier, 25 mehr, als erforderlich gewesen wären. Am Urnengang nahmen überhaupt nur 276 Deputierte teil. 25 Parlamentarier sprachen sich gegen den ehemaligen Energieminister aus.

Die mit Abstand größte Fraktion der Kommunistischen Partei hatte am Vormittag beschlossen, der Abstimmung fernzubleiben, nachdem das Plenum der Duma sich auf eine geheime Wahl verständigt hatte. Der Abstimmungsmodus ließ bereits auf die Stimmung der Abgeordneten schließen: In geheimer Wahl konnte Präsident Jelzins einziger Kandidat mit mehr Zustimmung rechnen. Obwohl die kommunistische Fraktion ihre Mitglieder verpflichtet hatte, an der Wahl nicht teilzunehmen, setzten sich 20 ihrer Parteigänger über das Verbot hinweg. Unter ihnen war auch der kommunistische Vorsitzende der Duma, Gennadi Selesnjow. Ihn hatte Präsident Jelzin bereits letzte Woche auf seine und Kirijenkos Seite gezogen.

Ohnehin wäre der Premier nicht bestätigt worden, wenn die Kommunisten ihren Satelliten, den Fraktionen der „Volksmacht“ und der „Agrarier“, nicht zugestanden hätten, frei nach ihrem Gewissen zu entscheiden. Sie stimmten gestern „nicht für Kirijenko, sondern für die Erhaltung der Duma“, meinte Nikolai Ryschkow, Fraktionsvorsitzender der „Volksmacht“, kurz vor der Wahl. Die liberale Jabloko-Fraktion war der Abstimmung ferngeblieben. Kirijenko habe keine Vorschläge zur Lösung der wirschaftlichen und sozialen Probleme des Landes gemacht, sagte ihr Vorsitzender Jawlinski.

Wäre der Premier ein drittes Mal durchgefallen, hätte Jelzin die Duma auflösen und Neuwahlen ausschreiben müssen.

Der frischgekürte Regierungschef machte seinem eigentümlichen Image eines leicht unterkühlten, aber aufrechten und mit diplomatischem Gespür begabten Technokraten alle Ehre. Als das Ergebnis verkündet wurde, verzog er keine Miene, ging zum Rednerpult und sagte: „Ich verstehe, daß diese Entscheidung von vielen Abgeordneten eine Menge Mut verlangt hat.“ Seine Worte galten den Kommunisten, die sich trotz drohender Sanktionen der Fraktionsdisziplin widersetzt haben. „Die heutige Wahl hat gezeigt, keiner von uns wünscht große Umwälzungen“, paraphrasierte er den Reformer der Jahrhundertwende, Stolypin, „und uns allen geht es um ein großes Rußland“.

Gennadi Sjuganow, der Parteichef der Kommunisten, saß unterdessen mit finsterer Miene im Plenum. Die Abstimmung sei „die Fortsetzung der alten Politik und eine Niederlage für das Land“, räsonnierte er. Offenkundig hatte Sjuganow in den letzten Tagen noch einmal Hoffnungen gefaßt, vorgezogene Neuwahlen würden seine Partei erneut als stärkste Fraktion ins Parlament bringen. Wegen der überalterten Anhängerschaft der Kommunisten stehen die Chancen bei den regulären Wahlen Ende 1999 nicht mehr so günstig.

Das Wahlergebnis dürfte unterdessen die Bürger zufriedenstellen. In Umfragen lehnte die Mehrheit der Russen es ab, nun auch noch im viel zu kurzen russischen Sommer zu den Urnen zu müssen. Klaus-Helge Donath

Porträt Seite 10