Schwarzes Schaf am Gänsemarkt

Am 12. Jahrestag des Tschernobyl-GAUs rufen Anti-Atomkriegs-Ärzte in Hamburg zum Boykott des AKW-Konzerns Siemens auf  ■ Von Florian Marten

Glühbirnen von Osram, Küchengeräte von Siemens, Constructa oder Neff, Computer von Siemens-Nixdorf oder Straßenbahnen von Duewag – zum Boykott dieser und anderer Produkte des Siemens-Konzerns rief gestern die Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) in Hamburg auf. Anlaß war der 12. Jahrestag des AKW-GAUs in Tschernobyl. „Siemens ist inzwischen der einzige Großkonzern in Deutschland“, so mahnte IPPNW-Vorständler Bernd Hanewald gestern bei der Protestaktion auf dem Gänsemarkt, „der die Atomenergie weiter vorantreibt. Leider wieder mit wachsendem Erfolg.“

In der Türkei liegt Siemens mit dem Angebot für den Bau des AKWs Akkuyu erfolgversprechend im Rennen, bei St. Petersburg arbeitet der Konzern an der Errichtung des Prototyps einer neuen Reihe von Druckwassergeneratoren mit. Gegen diese Geschäfte soll nun nach dem Vorbild des Shell-Boykotts der Siemens-Boykott helfen, zu dem mittlerweile 51 Initiativen und Gruppen in Deutschland aufrufen.

Medienwirksam nach Art von Greenpeace lockte deshalb gestern mittag auf dem Gänsemarkt eine kleine Schafherde mit vielen weißen und dem einen – unvermeidlichen und den Gegener symbolisierenden – schwarzen Schaf die Pressefotografen, auf daß sie die Botschaft vom Boykott verbreiten. Schließlich sei Hamburg nicht nur „die deutsche Medienhauptstadt“, sondern mit den Meilern in Brunsbüttel, Brokdorf, Stade und Krümmel „von gleich vier der 19 deutschen Siemens-AKWs umstellt“.

Noch freilich braucht sich Siemens vor den bunten Boykottballons, schnuckeligen Schafen und grünen Protestpostkarten nicht allzusehr zu fürchten: Der Boykott-Aufruf hat sich noch nicht allzu sehr herumgesprochen. Der Konzern-Vorstand nimmt die Gefahren für Image und Umsatz dennoch ernst. So empfing Topmanager Bernd Stecher, zuständig für Wirtschaftspolitik und ökologischen Protest, am Freitag die ehemalige Siemens-Mitarbeiterin Aynur Tuncer von der „Antinuklear Plattform“in Istanbul zu einem Gespräch. Tuncer, die gestern auf dem Gänsemarkt vom Widerstand gegen das AKW-Projekt in Akkuyu berichtete, zeigte sich optimistisch: „Ich hoffe, daß sich seine Gedanken ändern werden.“

Mediziner Hanewald möchte dem Umdenken vorsichtshalber nachhelfen: „Bei mir zu Hause haben Siemens-Produkte schon lange nichts mehr zu suchen“.