„Angebote für eine Integration machen“

■ fordert Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) im Hinblick auf die heutige Innenstadtkonferenz. Statt einer Begrenzung des Ausländeranteils kleinere Klassen in den Problemvierteln. In anderen Bezirken könnten die Klassenfrequenzen erhöht werden

Für heute abend lädt der Regierende Bürgermeister zur Innenstadtkonferenz ein. Thema dieser ersten Gesprächsrunde, an der Sie auch teilnehmen, wird die Bildungssituation vor allem von Kindern nichtdeutscher Herkunft sein. Ist das Wahlkampf oder ernstgemeint?

Peter Strieder: Es ist eine erste Besprechungsrunde aus Anlaß der Ergebnisse des Sozialstrukturatlasses der Gesundheitsverwaltung und unseres Gutachtens zur sozialen Stadtentwicklung. Daß der Regierende sich dieses gravierenden Themas annimmt, ist richtig. Was dabei rauskommen wird, kann ich im Vorfeld nicht einschätzen. Angesichts der Teilnahme von vier Kreuzberger Schulleiterinnen und Schulleitern habe ich die Hoffnung, daß den Senatskollegen einmal deutlich wird, was sich seit ihrer Schulzeit an den Schulen verändert hat, insbesondere in Problembereichen.

Warum lädt Eberhard Diepgen ein und nicht der Senat?

Der Regierende hat natürlich das Recht, Themen, die mehrere Senatsverwaltungen betreffen, zu koordinieren. Ich hoffe nur, daß man in der Senatskanzlei der Ansicht ist, daß es nicht genügt, ein paar Diskussionsrunden einzuberufen. Aus diesen Diskussionsrunden müssen vielmehr ganz konkrete Ergebnisse erfolgen.

Nun wird gerade die Schulpolitik, um die es heute gehen wird, sehr kontrovers diskutiert. Unter anderem hat Innensenator Jörg Schönbohm gefordert, die Gelder für den sprachlichen Förderunterricht zu streichen. Ist die Innenstadtkonferenz auch ein Versuch von Eberhard Diepgen, in dieser Diskussion liberales Profil gegenüber der innerparteilichen Konkurrenz zu signalisieren?

Ich habe schon den Eindruck, daß es in der Bewertung der Bildungspolitik zwischen Diepgen und Schönbohm einen Unterschied gibt. Die Debatte, die in der CDU geführt wird, ist ja leider nicht die, wie man für eine Schule und Ausbildung in der Schule sorgen kann, damit man mehr Kinder von Immigranten in das gesellschaftliche und berufliche Leben in der Stadt integrieren kann. Die Debatte läuft vielmehr in die Richtung, wie man den Ausländeranteil zugunsten der deutschen Kinder in der Schule begrenzen kann. Das halte ich für eine falsche Herangehensweise.

Was wäre die richtige?

Wir müssen feststellen, daß mit einem hohen Anteil von Immigrantenkindern, die nicht die gleichen kulturellen und sprachlichen Fähigkeiten wie deutsche Kinder haben, auf die Schule eine zusätzliche Aufgabe zukommt. Das heißt, die pädagogische Ausstattung in solchen Klassen muß eine völlig andere sein als die einer normalen Klasse mit 80 oder 90 Prozent Kindern aus bürgerlichen Familien. Es ist außerdem völlig unzureichend, nur auf den Paß zu schauen, darauf, ob die Kinder schon eingebürgert sind oder nicht. Wir haben ein Problem in der Stadt, das kaum zur Kenntnis genommen wird, das sind die Aussiedlerkinder. Deren Sprachfertigkeiten und kulturelle Fähigkeiten sind genauso wenig entwickelt wie die von Immigrantenkindern, und auch darunter leiden deutsche Kinder. Auch für Klassen mit hohen Aussiedleranteilen muß man zu anderen pädagogischen Normen kommen als für die normale Durchschnittklasse.

Im Gespräch sind derzeit aber auch wieder reine Ausländerklassen.

Ich halte nichts von reinen Ausländerklassen, sondern ich glaube, daß zum Beispiel eine Klasse mit fünfzehn Kindern durchaus sechzig oder siebzig Prozent Immigrantenkinder verkraften kann. Und es kann sogar auch für deutsche Kinder, die besser als der Durchschnitt der Klasse sind, interessant sein, in einer solchen Klasse zu sein, weil die geringe Klassenfrequenz es der Lehrkraft ermöglicht, im Rahmen der Binnendifferenzierung auch eine besondere Förderung dieser Kinder zu organisieren.

Nun wird vor allem aber das Sprachproblem immer größer. Lehrer sprechen bereits von „Unausbildbarkeit“, wenn Schüler ohne deutsche Sprachkenntnisse eingeschult werden. Da helfen auch Förderklassen nur schwer weiter. Müßte man das Sprachproblem nicht sehr viel mehr im vorschulischen Bereich angehen?

Natürlich. Das bedeutet aber auch, daß man in einer ganz anderen Art und Weise mit den Immigrantenorganisationen zusammenarbeiten muß. Ein Beispiel: Ein Immigrantenhaushalt, in dem beide Eltern etwa wegen Arbeitslosigkeit zuhause sind, wird natürlich sagen, daß man die Kinder nicht mehr in eine Betreuung geben muß. Unser Interesse – nicht das Interesse der Familie, sondern das Interesse der Gesellschaft – ist es aber, daß diese Kinder frühzeitig zu einer Kinderbetreuung in eine Kita gehen. Da müssen wir erstens bei den Eltern dafür werben, daß wir ihren Kindern etwas bieten können, was für ihre Lebensperspektive notwendig ist. Und wir müssen zweitens die Gruppen, die Aktivitäts- und Gestaltungsmöglichkeiten in den Kitas so organisieren, daß die Kinder tatsächlich nicht nur dort verwahrt werden, sondern auch kulturelle und zivilisatorische Fähigkeiten lernen, die sie zu Hause nicht lernen. Es muß eine Angebotspolitik gemacht werden, mit der wir in den Kitas schon frühzeitig etwas für die Integration in die Gesellschaft tun.

Eine solche Angebotspolitik kostet Geld. Wie wollen Sie eine Verbesserung in der Schule und in den Kitas finanzieren?

Zum einen glaube ich nicht, daß wir gleich große Frequenzen in allen Bezirken haben müssen. Es gibt Bezirke, in denen das Elternhaus sehr viel mehr zur Weiterentwicklung und Vermittlung von Werten und zivilisatorischen Fähigkeiten beiträgt als in anderen Bezirken. Das heißt, da können die Klassen größer sein.

Das heißt, der Wertausgleich zwischen der Bezirken muß den neuen Anforderungen angepaßt werden.

Natürlich ist das der Wertausgleich. Man muß sogar innerhalb der Bezirke differenzieren. Beispiel Reinickendorf: In Frohnau haben sie ungleich weniger gesellschaftliche Probleme als in der Nähe des Märkischen Viertels.

Muß der Wertausgleich kostenneutral sein?

Es muß erst einmal geprüft und durchgerechnet werden, wieviel man hat und wieviel man braucht. Zum anderen haben wir im Ostteil der Stadt eine große Überhangliste von k.w.-Erzieherinnen. „Her damit!“ kann ich nur sagen. Vor allem aber müssen wir schnell reagieren. Es hat keinen Sinn zu sagen, wir brauchen in Kreuzberg jetzt sieben neue Gebäude für Kitas. Dann muß man andere Möglichkeiten der Unterbringung finden. Es gibt leerstehende Räume. Da müssen eben Übergangslösungen her für die nächsten fünf oder sechs Jahre.

Nun ist der schulische Bereich nur ein Problem in den Innenstadtbezirken. Wachsende Armut und Arbeitslosigkeit sind andere. Sie haben selbst in ihrem Gutachten gefordert, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wie?

Wir sind vom Senat beauftragt worden, in Zusammenarbeit mit der Sozialsenatorin und dem Bausenator Vorschläge für die sogenannten problembehafteten Gebiete zu koordinieren. Wir analysieren im einzelnen die Defizite in diesen Gebieten. Klar ist, daß Arbeitslosigkeit, insbesondere Jugendarbeitslosigkeit in den Innenstadtgebieten wiederum vor allem bei Immigranten und deren Nachkommen ein zentrales Problem ist. Dafür gibt es Modelle und Vorschläge. Die Arbeitssenatorin hat etwa dieses Modell „Stelle statt Stütze“. Ich würde sogar soweit gehen, daß wir in dieser Stadt eigentlich in der Lage sein müßten, jedem Jugendlichen unter 25 Jahren einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu garantieren.

Der bündnisgrüne Bürgermeister von Kreuzberg, Franz Schulz, hat unlängst kritisiert, daß Berlin vom einstigen Vorreiter der Stadterneuerung zum Schlußlicht geworden ist. Wann wird es in Berlin wie in Hamburg ein Armutsbekämpfungsprogramm geben?

Ich bin mir nicht sicher, ob man das von Hamburg einfach übernehmen kann. Was not tut, ist ein Quartiersmanagement. Wir wollen lokale Interventionsstrategien entwickeln. Das bedeutet, daß man zusammen mit den Bürgern und Bürgerinnen, wie es zum Beispiel das Kommunale Forum Wedding gemacht hat, eine Defizitanalyse des Quartiers vornehmen muß. Diese Analyse muß dann wiederum mit den Bürgern abgearbeitet werden. Da kann man sicher keine Schlösser bauen, darum geht es gar nicht, sondern es geht um ein kleinteiliges Management. Wir brauchen für einzelne Quartiere Moderatoren und Organisatoren, die mit den Bürgern die Defizite analysieren und sagen, welche Prioritäten zu setzen sind.

Früher nannte man das Bürgerbeteiligung. Ist das nicht alter Wein in neuen Schläuchen?

Was wir über Jahre, auch in Kreuzberg gemacht haben, war eine Stellvertreterrolle. Es ist uns ja nicht mehr gelungen, die Bevölkerung wirklich einzubeziehen. Das gilt vor allem für die Immigranten. Ohne zum Beispiel den Türkischen Bund wird das nicht gelingen, so etwas zu bewegen. Wir müssen aber auch den Jugendlichen deutlich machen, daß sie etwas für ihren Bezirk, für ihren Kiez tun. Solche Jobs stelle ich mir auch vor. Es kann sein, daß wir in einigen Bereichen auch bewachte Spielplätze brauchen, damit Drogenabhängige dort nicht ihre Spritzen liegen lassen. Oder Alkoholiker mit Kampfhunden auf den Spielplatz gehen und die Kinder keine Spielmöglichkeit mehr haben. Wir müssen eine bezahlte Verantwortung für das eigene Quartier kreieren.

Wenn man die Jugendlichen beauftragt, einen Park zu bewachen, schafft man ihnen damit aber noch lange keine Perspektive.

Die Chance ist doch zunächst der Arbeitsplatz. Beispiel Großsiedlungen. Zwar werden wir da nicht mehr den Portier wie früher haben. Aber es gibt eine große Zahl von Jugendlichen, Frührentnern oder Arbeitslosen mit handwerklichen Fähigkeiten, die mithelfen können, sich um ein solches Areal zu kümmern. Bezahlt, nicht nur ehrenamtlich. Interview: Uwe Rada Bericht Seite 6