Altlasten droht Rauswurf

Bei einem 2:0-Testspielsieg gegen Polen müssen die deutschen Hockeyspieler drei Wochen vor der WM feststellen, daß der neue Kunstrasen gewöhnungsbedürftig ist  ■ Von Thomas Hahn

München (taz) – Es ist nicht mehr viel Zeit bis zum wichtigsten Termin für Deutschlands beste Hockeyspieler in diesem Jahr. In dreieinhalb Wochen werden die Weltmeisterschaften im holländischen Utrecht angepfiffen, weshalb Bundestrainer Paul Lissek mit zunehmendem Interesse verfolgt, was an Vorbereitungen läuft in der Fremde, vor allem was die Gastgeber mit der WM-Spielstätte anstellen.

Die ist nämlich mit dem letzten Schrei der Kunstrasenindustrie ausgelegt, einem Edelteppich, auf dem einsatzfreudige Spieler halbwegs ohne Verbrennungen auskommen und der sattgrün leuchtet wie eine frisch gemähte Osterwiese. Andererseits aber ist er in unverbrauchtem Zustand eine reichlich glitschige Unterlage. Die Bälle verhüpfen leichter, als auf älteren herkömmlichen Feldern. „Brandaktuell gehört“ hat Lissek jetzt, daß die Holländer 20 Stunden täglich eine Maschine über ihre moderne Auslegware tuckern lassen, die die Oberfläche abschleift, damit das Geläuf rutschfester wird.

Hoffentlich stimmt das. Denn spätestens seit Samstag weiß man, daß Deutschlands Hockey-Protagonisten mit dem neuen Belag überhaupt nicht zurechtkommen. Da haben sie nämlich in München auf der Anlage des HC Wacker geprobt, der sein Gelände kürzlich just mit jenem Kunstgrün aufgerüstet hat, auf dem in Utrecht um den WM-Titel gestritten wird. Dabei wurde zwar gegen WM-Teilnehmer Polen 2:0 gewonnen durch Tore von Christian Blunck (Hamburg) und Björn Michel (München), aber dabei sehr mäßig gespielt. Auf dem schlüpfrigen Grund schlitterten die Deutschen unbeholfen umher und begingen Stockfehler, die Lissek unverzeihlich fand. „Der Platz ist gewöhnungsbedürftig“, entschuldigt sich Kapitän Blunck. Lissek war das egal: „Wenn die Polen den Ball stoppen können, muß ich das von meinen Spielern auch erwarten.“

Es läuft alles nicht so richtig rund aus Lisseks Sicht. Nach dem Gewinn der begehrten Champions-Trophy im Winter in Australien erfuhr er wieder einmal die Leiden eines Bundestrainers, dessen beste Spieler Amateure sind. 100 Mark Sporthilfe im Monat plus 41 Mark Tagegeld plus Erfolgsprämien ergeben nicht genug, als daß ein Hockeykönner die berufliche Laufbahn schleifen lassen könnte. So ärgerlich das auch ist für Lissek. Im Januar benannte er seinen 16-Mann-Kader für die WM – bis zum Lehrgang in München, bei dem die Auswahl am Mittwoch noch gegen Holland und am Donnerstag gegen Malaysia weiter getestet wird, schaffte er es nicht, seine Erlesenen komplett zusammenzubringen.

Lissek kennt das Problem seit Jahren, aber diesmal wird es ihm ein bißchen zu happig. Nach der WM-Nominierung fiel ihm auf: „So viele Absagen hatte ich noch nie.“ Schon zweifelt er, ob es richtig war, die WM-Plätze schon so frühzeitig zu besetzen. Eigentlich wollte er seinen Jungs den Streß im Bewerb um die WM-Berufung ersparen, jetzt glaubt er, „daß es idealer ist, wenn sie lange um ihre Position kämpfen müssen“. Die Botschaft des Bundestrainers ist klar: Er glaubt, daß manche im Kader schludern. Blunck sieht das zwar anders und fand auch die Idee der frühen Nominierung gelungen. Aber gerade er gehört zu jenen, die Lissek vielleicht noch aus seiner WM-Formation streicht, weil Blunck infolge eines Kreuzbandrisses immer wieder Probleme am Knie hat – da hilft es ihm auch nicht, daß er mit 29 der Älteste in dem Team ist, das Lissek nach Rang vier bei Olympia 1996 neu formierte. Ebenfalls wegen körperlicher Altlasten vom Rauswurf bedroht: Christoph Bechmann (Gladbach), der nach einem Bruch der Kniescheibe mit bandagiertem Bein und ohne Mumm spielte, und Klaus Michler aus Krefeld (Fußgelenksverletzung). Zu allem Überfluß holte sich der Stürmer Oliver Domke im Polen-Spiel eine Zerrung, was Lissek ihm nicht als Empfehlung auslegte: „Der verletzt sich nicht, weil er übertrainiert ist.“

Die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Sydney 2000 will Lissek wieder straffer organisieren. Denn: „So kann das nicht bleiben.“ Schließlich kennt er den Druck, der aufgrund einer glorreichen Historie auf dem Hockey-Nationalteam lastet: „Alle erwarten immer, daß wir unter die ersten vier kommen.“ Derweil läßt sich Blunck in seinem Optimismus nicht erschüttern. „Wir sind in der Lage, jeden zu schlagen“, sagt er, „unser Ziel ist es, Weltmeister zu werden.“