„Wir kämpfen hier gegen den Islam“

Die serbische Armee hat an der Grenze der Provinz Kosovo zu Albanien und im Hinterland Position bezogen. Sie kann das gesamte Land kontrollieren. Doch nachts wird die albanische Untergrundarmee UCK aktiv.  ■ Aus Priština Erich Rathfelder

Die schneebedeckten Berge im Hintergrund gehören schon zu Albanien, die Grenze verläuft über den mit Bäumen bewachsenen Höhenzug davor. Hier, an dieser Stelle, nahe dem Dörfchen Kosare, waren in der Nacht zum Mittwoch letzter Woche mindestens 200 junge Kosovo-Albaner in einen Hinterhalt der Jugoslawischen Armee geraten. Von 23 Toten wird jetzt offiziell gesprochen, 2 Männer wurden gefangengenommen.

„Was mit den anderen geschehen ist, wissen wir nicht.“ Der Dorfbewohner, der als Führer den beschwerlichen Weg mit nach oben gegangen ist, zeigt auf die Stelle des Bergrückens, wo die Einheiten der Jugoslawischen Armee in Stellung lagen, und auch jene Stelle weiter links, wo serbische Polizeieinheiten auf die Gruppe Kosovo-Albaner im Hinterhalt warteten. Als sie in das Schußfeld der Armee kamen, brach die Hölle los. Einige waren sofort tot, die anderen warfen ihre Waffen weg und versuchten zurück nach Albanien oder den Berghang hinunter, in Richtung Kosovo, zu rennen. Jene, die dies taten, gerieten in das Feuer der lauernden Polizeieinheiten.

„Einer sprang in einen Bach und konnte sich so verstecken, ein anderer war schon gefangengenommen, als ihn der serbische Soldat nach einigen Schlägen mit dem Gewehrkolben wieder laufen ließ.“ Dies sind die beiden einzigen auf dieser Seite der Grenze bekannten Überlebenden der Gruppe. Ob es noch weitere Tote gab, möchte der Führer nicht ausschließen. Dies selbst nachzuprüfen, ist jedoch nicht ratsam. Denn serbische Soldaten sind noch in der Nähe eingegraben.

Unten im Dorf sind die Menschen sehr bedrückt. „Die meisten dieser Leute waren Jungs, nicht älter als 16 oder 18 Jahre. Das waren keine Kämpfer.“ Es waren Jugendliche aus Babaloq, Slup, Gamaqel und anderen Dörfern, die, in der Ebene liegend, von den Bergen von hier aus mit bloßem Auge zu erkennen sind. Nachdem die serbischen Einheiten diese Dörfer nahe der Stadt Decani schon vor vier Wochen angegriffen hatten, waren sie über die damals noch durchlässigere Grenze nach Albanien geflüchtet, behaupten die Dorfeinwohner. Auf dem Rückweg hätten „einige von ihnen“ jedoch Waffen getragen, wird nach vielen Nachfragen schließlich zugegeben.

Möglicherweise wollten sie Waffen in ihre Heimatdörfer bringen, die nach wie vor von den serbischen Truppen belagert sind und sporadisch beschossen werden. Nach serbischen Angaben war unter den Getöteten war jedoch auch Naim Maljoku, ein früherer Armeeoffizier der Bosnischen Armee.

Die Menschen im Dorf Kosare haben Angst. Gerade nähert sich ein serbisches Militärfahrzeug. Sofort verschwinden sie in ihren Häusern. Ein Offizier will mit vier seiner Leute wieder zur vier Kilometer entfernten Grenze fahren. „Es ist jetzt alles ruhig,“ erklären die Soldaten. Ihre lässige Sorglosigkeit steht in einem eigentümlichen Kontrast zu den Informationen aus Priština, nach denen hier die albanische Untergrundorganisation UCK aktiv sein soll. Offenbar haben die Serben vor den Dorfbewohnern keine Angst. Und auch nicht davor, von in den Wäldern versteckten UCK-Scharfschützen beschossen zu werden.

„Wir haben alles im Griff, wir kontrollieren die Grenze“, sagt der Offizier stolz. Und langsam setzt sich das Gefährt wieder in Bewegung, den Berg hinauf zu den Positionen der Armee. Panzer sollen dort oben stehen, Geschütze, rund 500 Mann Infanterie nur an dieser Stelle. Dazu noch Polizeieinheiten. Und auch jetzt ist deutlich das Grollen von Artillerie zu hören, die weiter nördlich in den Bergen aktiv sein muß.

Die Zufahrtswege nach Kosare werden von serbischen Polizisten streng kontrolliert. Noch ist es hier nicht zu Übergriffen auf die Bevölkerung gekommen. Doch in den Dörfern auf der von kleineren Anhöhen unterbrochenen Ebene sehen sich die Menschen mit dem massiven Aufbau von Positionen der Armee konfrontiert. Auf fast allen Hügeln bis hin zur 60 Kilometer entfernten Stadt Prizren haben serbische Einheiten Stellung bezogen. Sie graben sich überall ein, wie jene Einheit auf der Anhöhe um Balaloq und auf dem Hügel bei dem nur zwei Kilometer entfernten Dorf Zopot. Die hier lebenden Katholiken – gerade in dieser Region zwischen Peja (Pec) und Prizren sind viele Albaner katholisch – wurden noch nicht angegriffen.

„Ihr in Europa versteht uns nicht“, sagt einer der serbischen Posten, „wir kämpfen hier gegen den Islam für die westliche Kultur“. Ein Offizier unterbricht das Gespräch und fordert die Journalisten zur Umkehr auf.

Überall an den Verbindungsstraßen, manchmal nur zwei Kilometer voneinander entfernt, sind Kontrollpunkte der serbischen Miliz anzutreffen. Ausländer und die serbische Bevölkerung können nach Durchsicht der nötigen Papiere und nach einem Blick auf das Gepäck passieren. Die meisten Kosovo-Albaner verzichten auf jegliche Autofahrten. „Die Kontrollpunkte kommen einem Fahrverbot gleich“, beklagt sich der Besitzer eines Textilgeschäftes, der nach Priština fahren müßte, um neue Waren abzuholen. „An den Kontrollpunkten wollen sie jeweils 50 DM Schmiergeld.“

In manchen Gebieten wird nachts jedoch die Guerilla aktiv. So in Drenica, wo in der Nacht zum Samstag ein serbischer Polizist getötet und ein anderer verletzt worden ist. Außerdem wurde Qerim Desku erschossen, ein Albaner, der an dem von der serbischen Regierung ausgerichteten Referendum teilgenommen hat. „Die UCK ist nicht zimperlich, Abweichler werden bestraft“, sagt in Priština in einer Runde von Freunden ein kosovoalbanischer Journalist. Und löst damit eine Diskussion aus, ob die Albaner „dem serbischen Terror mit den gleichen Mitteln“ entgegnen sollten. Kommentar Seite 12