„Die Verschwundenen sind Schlüsselfiguren“

■ In Indonesien verschwinden Oppositionelle. Der 26jährige Hendrik Sirait war 1996 der erste

taz: Was haben Sie der UN- Menschenrechtskommission in Genf berichtet?

Hendrik Sirait: Ausgehend von meinem Fall habe ich über das Verschwindenlassen von Aktivisten der Demokratiebewegung in Indonesien gesprochen. Ich wurde am 1. August 1996 nach einer Gerichtsanhörung der Oppositionsführerin Megawati Sukarnoputri entführt. Wenige Tage zuvor hatte es in Jakarta schwere Unruhen gegeben, weil Megawati von der Regierung als Oppositionsführerin abgesetzt worden war. Ich wurde nach meiner Entführung zwei Tage lang geschlagen und getreten und während stundenlanger Verhöre mit Zigaretten verbrannt und mit Elektroschocks gequält. Unter Folter mußte ich gestehen, Unruhen organisiert und Bombenanschläge geplant zu haben. Nach einer Woche – meine Eltern hielten mich bereits für tot – übergaben mich meine Entführer, die Angehörige des militärischen Geheimdienstes waren, der Polizei. Diese stellte gegen mich einen Haftbefehl aus, der das Datum der Unruhen und nicht das meiner Entführung trug. Erst vier Wochen später bin ich wiederaufgetaucht.

Der UN-Menschenrechtskommission habe ich eine Liste der sieben Fälle von Verschwundenen der vergangenen Wochen überreicht. Weitere drei Verschwundene sind kürzlich schwer traumatisiert wiederaufgetaucht. Sie können noch nicht sprechen.

Seit Wochen demonstrieren täglich Studenten gegen die Regierung. Sind auch sie betroffen?

Ja. Ein Fall ist Herman Hendrawan, der nach Protesten Pressekonferenzen organisierte und seitdem verschwunden ist. Von den sieben Verschwundenen sind fünf Studenten. Die Liste enthält nur Fälle, bei denen Angehörige der Veröffentlichung zugestimmt haben. Das unabhängige Menschenrechtsinstitut YLBHI zählt 50 Fälle von Verschwundenen. Aber aus Angst wollen viele Angehörige nicht an die Öffentlichkeit gehen.

Was haben die Verschwundenen gemeinsam? Steckt eine Strategie dahinter?

Alle Verschwundenen sind Schlüsselfiguren der Demokratiebewegung und haben sich für Megawati eingesetzt. Ihr Verschwindenlassen zielt auf Einschüchterung. Wer entführt und gefoltert wurde, ist traumatisiert und verbreitet – so die Hoffnung des Militärs – eine stärkere Angst und Unsicherheit als bei einer Verhaftung per Haftbefehl. Seit Jahresanfang wurden etwa 300 Oppositionelle verhaftet.

Die UN-Menschenrechtskommission hat trotzdem auf eine Verurteilung Indonesiens verzichtet. Wie erklären Sie sich das?

Eine Resolution wegen Osttimor wurde verhindert, eine Resolution zu Menschenrechtsverletzungen in Indonesien wurde gar nicht erst erwogen. Vertreter europäischer Staaten haben mir gesagt, weil Indonesien in einer wirtschaftlich schwierigen Lage sei und die Regierung Probleme bei der Umsetzung der Auflagen des Internationalen Währungsfonds habe, wolle man ihr nicht noch weitere Probleme machen. Interview: Sven Hansen